„Der alte Fontane (...) bleibt, wie auch der junge, ein entlaufener Apothekergehilfe, der sich als schlechtbezahlter Zeitungskorrespondent, Kriegsberichterstatter, Reiseschriftsteller kümmerlich durchschlägt. Er muß eine Familie mit vier Kindern durchfüttern. Die mit Bienenfleiß zusammengetragenen 10.000 Seiten Kriegsbücher erweisen sich als verlegerisches Fiasko. Der vierbändige Romanerstling „Vor dem Sturm" des nahezu 50jährigen wird selbst von engeren Freunden kaum gelesen. Die Wanderungen, Balladen, Spruchgedichte machen ihn zwar relativ bekannt, sichern ihm aber keine wirtschaftliche Existenz. Frust reiht sich auf [!] Frust. Das macht ihn vorübergehend reif für die Nervenklinik. Als der große Ruhm sich endlich einstellt, muß der Dichter vom Leben Abschied nehmen."
Wer sich von dieser Beschreibung eines scheinbaren Versagers nicht abschrecken läßt, sondern sie vielmehr als raffiniert eingesetztes Mittel einer Rätselfrage nach Art von „Wer wars?" begreift und das Buch zu ihrer Beantwortung nutzen möchte, wird zumindest eine Aussage des Rückseiten-Tex- tes teilweise bestätigt finden: „Der Mensch Fontane wird gegenwärtig."
In einem aus Briefen, Biographien, autobiographischen Texten und kurzen Darstellungen der Werke recht geschickt komponierten Mosaik ersteht zumindest als Skizze die zweite Hälfte von Fontanes Leben vor den Augen des Lesers. Er nimmt Anteil an den unermüdlichen Versuchen Fontanes, nach der Zeit in England wieder Fuß zu fassen in Berlin, dort eine Existenz zu gründen, die der Familie mehr als nur das Überleben sichert und neben der ökonomischen Etablierung auch die als anerkannter Schriftsteller zu betreiben. Er hat Mitleid mit dem gesundheitlich oft Angeschlagenen, freut sich mit dem stolzen Familienvater, verfolgt skeptisch die Aktionen des nicht immer verständnisvollen Ehemannes, liest mit Bewunderung von der immensen Arbeitsleistung des Autors, bedauert, daß die Mühen kaum den erstrebten Erfolg zeitigen und ist froh über jede Anerkennung der literarischen Leistung. Die „späten Ehrungen" erlebt er geradezu als das glückliche Ende, den versöhnlichen Abschluß eines - so suggeriert es der Text - vor allem an Tiefen reichen Schriftstellerschicksals.
Wenn der Leser „nur" einige Seiten des Menschen Fontane durch Schmelzers Buch kennengelernt hätte, so wäre das bereits eine interessante Erfahrung gewesen. Der Autor zeigt aber auch die Verschränkung von Leben und Werk, indem er in sein Mosaik kurze Beschreibungen der Kriegsbücher, der Wanderungen und der Romane einfügt, deren Anlaß und Entstehung erläutert und knappe Verweise auf den Inhalt gibt.
Allerdings - und diese Tatsache ergibt sich zwangsläufig aus der Kürze der gesamten Darstellung - bleibt vieles nur skizzenhaft, muß sich der Leser mit Andeutungen begnügen, wo er sich vielleicht Deutungen gewünscht hätte. Umso wichtiger wäre es gewesen, dem Buch ein ausführlicheres, eventuell sogar kommentiertes Literaturverzeichnis mitzugeben (möglichst auch ohne Druckfehler), damit der interessierte Leser nach der ersten, etwas oberflächlichen Bekanntschaft mit Fontane die Möglichkeit erhalten hätte, die Kenntnis von Leben und Werk zu vertiefen. Dies wäre vor allem deshalb wichtig, weil der durch das Buch vermittelte Eindruck der „Kümmerexistenz" Fontanes
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