Heft 
(1993) 56
Seite
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geber damit bezweckten, bleibt dem Leser bzw. Rezensenten zu erraten. Zum Beispiel fragt man sich, warum die Herausgeber Mauthners wohlüberlegte Rezension aus dem Jahre 1905 nicht ganz wiedergeben, anstatt sie so ausgiebig zu zitieren. Viel mehr Raum als die orginalgetreue - ungewollt lächerliche - Korrespondenz zwischen Mauthner, Fontanes Tochter und dem Brief-Heraus­geber Ettlinger kann sie nicht einnehmen, uns aber eher glauben lassen, daß Mauthner nicht bloß ein nachtragender Kauz, sondern ein ernstzunehmender Essayist gewesen ist.

Was hier als Illusionslosigkeit und Unerschrockenheit verstanden sein will, ist doch nur Kapitulation vor der selbstgestellten Aufgabe. Dienatürliche Konse­quenz" solcher Denkverweigerung ist ein Steckenbleiben in der Perspektive der Zitate. Hier liegt es aber noch mehr im Argen, denn Mauthners differen­zierte Vorwürfe werden zuDoppelzüngigkeit" verflacht, während kein ange­messener Begriff zur Überwindung angeboten, sondern der StrohmannHeite­res Darüberstehen" zum Abschuß freigegeben wird. Da konnte den Herausge­bern zum Schluß nichts mehr einfallen, als ihrem überspitzten Mauthner recht zu geben.

Bei so gründlichen Versäumnissen und Fehlanzeigen könnte der Leser aber über den einen guten Ansatz schier hinweglesen; denn wenn dieser Mauthner- Fund nie und nimmer zu einem Fontane-Fund umgemünzt werden kann, so hat Betz doch die einzige Möglichkeit erkannt, um den Fund fontanemäßig auszuwerten - als weiteren hübschen Beleg in einer Studie über die Rezeption der Fontane-Briefe. Gegen Ende des Kommentars werden nämlich noch nie berücksichtigte Zitate ausgebreitet, die zwar keine frühe Fontane- Renaissance, dafür aber einen Fontane-Brief-Schock belegen, der schon 1910 den jungen Thomas Mann als Verteidiger Fontanes auf den Plan gerufen hat. Man bekommt den Eindruck, als schlummere in den Nachlässen von Fontanes Zeitgenossen ein regelrechter Rezeptionskrimi, deren Oberfläche hier erst angekratzt wird und der nur auf den wartet, der über die geschichtlichen Kenntnisse und psychologische Weisheit verfügt, um daraus eine überzeugen­de Gesamtdarstellung zu machen. Wohlan, Ritter des Geistes! Aber vergeßt nicht, daß man von Euch mehr verlangt als eine Materialsammlung, denn wer das Sagen haben will, muß es auch tun.

Ein vorbildliches Muster für die Veröffentlichung und Vermittlung bisher unbekannter Zeitzeugen bietet Helmuth Nürnberger im Heft 54 derFontane Blätter". 6 Es handelt sich um nur vier Briefe Fontanes an den Stadtgerichtsrat und Maler Felix Possart, den Fontane über zwei alte Tunnel-Bekannte für seine Scherenberg-Biographieausquetschen" wollte. D.h., daß in jener kleinen Sammlung es sich sehr gut überprüfen läßt - weil die Zweckmäßigkeit der Kor­respondenz außer Zweifel steht -, ob der Briefschreiber Fontane der Dop­pelzüngigkeit mit Recht geziehen werden kann. Er bittet nämlich nicht nur um Auskünfte, die nur unter der Hand weitergegeben werden, sondern macht auch klar, wie seine private Meinung und öffentliche Stellungnahme voneinan­der abweichen - bis ins Detail. Mit sicherem Instinkt hat Nürnberger eine Stelle im zweiten Brief als Überschrift gewählt, womit Fontane sein Vorgehen begründet,... weil ich dann so recht den Versöhnlichen, den Ausgleichenden spielen könnte." Doch weit entfernt, Fontane daraus einen Strick drehen zu wollen,

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