Wer daher heute das Thema der Grete Minde aufnimmt, findet sich in einem Geflecht gewachsener literarischer und historischer Bezüge, die schwer zu umgehende Vorgaben enthalten oder gängige Interpretationsmuster aufdrängen; der beim Leser sicher zu erwartende Vergleich mit Fontanes Novelle tut ein übriges. Auch Barbara Bartos-Höppner, Jugend- und Sachbuchautorin, hat sich mit einer Darstellung der Elbe-Geschichte und mit ihrer Familien-Saga „Die Bonnins" inhaltlich wie formal erst einmal an das Thema herangeschrieben. Ihr Roman „Die Schuld der Grete Minde" geht Fontane und seiner Novelle konsequent aus dem Wege und bleibt ihr doch stark verhaftet: Die Autorin wählt die Darstellungsform des historischen Romans, wie er seit Willibald Alexis, Felix Dahn, Gustav Freytag und eben Theodor Fontane erprobt ist - ein Sittengemälde aus Tangermünde entsteht vor den Augen des Lesers, prall gefüllt mit Landeskunde, Alltagsgeschichte, Brauchtum und städtischer Kultur. Wo Fontane ausspart oder nur andeutet, greift Bartos-Höppner hinein ins volle Menschenleben, läßt ihrer Liebe zum sorgfältig recherchierten Detail freien Lauf. Vor diesem anschaulich und kenntnisreich beschriebenen Treiben entfaltet sich eine Intrige des Patriziergeschlechts der Mindes gegen die nie als legitime Erbin anerkannte Grete, Tochter des aus der Art geschlagenen Peter Minde. Wenn Fontane den Charakter der Grete in den Mittelpunkt stellt, ihren Verletzungen und Entstellungen mit der psychologischen Sonde nachspürt, nutzt Bartos-Höppner die Erbschaftsansprüche der jungen Frau, um das Leserinteresse auf die Machenschaften einer habgierigen Gesellschaft zu lenken. Noch der Feuertod Gretes mit vorangehender Tortur spiegelt nur die brutale Skrupellosigkeit der städtischen Oberschicht.
Bartos-Höppner hat die neuere Aktenlage ausführlich studiert und hält sich an die Vorlagen: Viele der Handlungselemente, Personen und Örtlichkeiten sind belegt, entsprechen den Erkenntnissen der Historiker. Fontanes dichterisch freies, zur Deutung reizendes Ende Gretes im brennenden Kirchturm ist bei Bartos-Höppner nicht denkbar. So bleibt der Autorin, die in der Anklage einer korrupten Gesellschaft auch eine Ehrenrettung für Grete Minde versucht, relativ wenig Spielraum zur eigenständigen literarischen Gestaltung. Ihr aukto- rialer Erzähler Ambros Ambrosius, der aus der Retrospektive berichtet, wie es die Realisten des 19. Jahrhunderts exemplarisch vormachten, hat viel von Fontanes mildem, verzeihendem Verständnis, und die oft gerühmten Motivketten der Novelle finden sich hier in den bedrohlichen Feuer-Symbolen oder dem Freiheits-Vogel wieder.
Wo Fontane den Spruch vom Tangermünder Rathaus: „Verlaß dich nicht auf dein Gewalt" im Schluß leitmotivisch wiederholt, kommentiert Bartos-Höppner mit der Mahnung, „daß die Wahrheit und Ordnung nicht aus der Welt kommt" (S. 17, 152, 275, 315), mehrfach die Handlung - ein Spruch, der historisch auf die Katte-Tragödie zurückzuführen ist, die ihren Ausgang im Tangermünde benachbarten Wust nahm, dem Stammsitz der Kattes.
So ist Barbara Bartos-Höppners Roman, der ungebrochen in der Tradition des historischen Erzählens steht, eine Hommage an Fontane, eine respektvolle Verneigung vor seinem handwerklichen Können und Wirken. Doch macht dieses Verhaftetsein auch die Grenzen deutlich, die „Die Schuld der Grete Minde