Heft 
(1994) 57
Seite
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Nr. 4: An Dr. Paul Schlenther

Berlin 14. Febr. 86 Potsd. Str. 134. c.

Hochgeehrter Herr Doktor,

Der zwanglose Hauptmann hat mir heut erzählt, daß er Ihnen Stephany's Namen genannt hat. Es ist mir nicht sehr angenehm, weil daraus Klatsche­reien entstehen können, bei denen man immer eine höchst traurige Rolle spielt. Später erzähle ich Ihnen die ganze Geschichte mal mit allen Details. Sie war mir psychologisch interessant; man lernt nicht aus. Heute nur die Bitte, Stephany gegenüber zu schweigen. Hoffentlich kommt die Bitte nicht schon zu spät. Ich wette, daß sich Stephany sehr maßvoll und sehr diplo­matisch geäußert hat; der, der mir davon erzählte, hatte aber ein Interesse, die kleinen Bedenken, die muthmaßlich geäußert wurden, feierlicher zu nehmen, als sie gemeint waren. Also - wenn noch nicht zu spät - schwei­gen!

Wie immer Ihr

Th. Fontane.

Der zwanglose Hauptmann: Damit ist wohl George Fontane gemeint, der Hauptmann und Lehrer an der Kadettenanstalt in Lichterfelde war. Handschriftlicher Vermerk Friedrich Fontanes vom 14.6.1934: "Anspielung auf die 'Zwanglosen'! Sowohl Schlenther, als auch Fontanes ältester Sohn George waren Mitglieder der 'Zwanglosen'. Die Bedeutung der 'Zwanglo­sen' ist inzwischen verblaßt; das Publikum hat kein Interesse mehr daran, daß sozusagen ein permanenter Konflikt zwischen ihnen und Stephany bestand."

Friedrich Stephany (1830 - 1912), seit 1880 Chefredakteur der Vossischen Zei­tung. Vgl. Anm. zu Nr. 5.

Paul Schlenther, durch Frau Emilie Fontane an C. R. Lessing empfohlen, zeichnete seine Theaterberichte für die Vossische Zeitung, da er erst ver­suchsweise angenommen war, zunächst mit "W". Seine erste Kritik galt der Uraufführung des Dramas Loreley von L'Arronge am 6. Februar 1886. Vermutlich bezieht sich der Brief auf diese erste Kritik Schlenthers. Fonta­ne schreibt am 10. Februar 1886 an Schlenther: "Gestern vernahm ich auf weiten, verwunderlichen Umwegen, daß Ihre erste W.-Kritik Anlaß oder doch mindestens zu kleinen Bedenken Veranlassung gegeben habe. Sollte dies der Fall sein, so kann ich mich in solcher Stellungnahme nicht zurecht­finden."

Im gleichen Brief lobt Fontane "die zweite W.-Kritik über Ludwig Anzen­grubers "Volkstragödie" Herz und Hand: "Ich finde sie vortrefflich sans phrase: klar, anschaulich, liebenswürdig und geistreich [...]"