Heft 
(1994) 57
Seite
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alten berliner Doktorsatze: "je mehr Matsch auf der Straße, je besser das Befinden." Ist es was mit diesem Weisheitsspruch, so muß es Ihnen ganz erträglich gehn. Außerdem, die Hauptsache bleibt doch immer die o r t s - geborene Luft, das eigentlich Lokale, das durch Scirocco [!] oder Bora wohl gefährdet, aber in seiner Substanz doch nicht annulliert werden kann. In gewissem Sinne liegt doch die Riviera jenseits von gut und böse, gerade so gut wie die Peterskirche, die, inmitten wechselnder Temperatu­ren, ihre sich gleichbleibende Luft hat. Ich bin, in Bezug auf Ihre Gesund­heit, voller Hoffnung und nehme diesen zur Zeit herrschenden, klimati­schen Unsinn für einen bloßen Mummenschanz, für ein Weihnachtsmann­spielen, hinter dem das alte Rivieraherz ruhig und warm weiterschlägt.

Uns geht es, was das Wetter anbetrifft, relativ gut, denn wir bleiben mal wieder von allen Extremen bewahrt. Sie wissen, daß man von der Mark gesagt hat, sie habe keine Heiligen, aber auch keinen Groß-Inquisitor her­vorgebracht. Das ist richtig und es scheint, als ob wir durch einen an und für sich etwas langweiligen Mittelkurs auch jetzt wieder gesegnet werden sollten. In Paris friert man bei 15 Grad Stein und Bein, während Berlin seine 5 Grad mit einer wenig gesteigerten Zufuhr von Preßkohle bezwingt. In Ihrer Nähe muß jetzt mein Freund und Gönner, Geheimrat Jordan, aus dem Kultusministerium, herumwanken. Er hat seine Frau verloren, ist überarbeitet u. will sich an den "Seen", oder zwischen Genua und Nizza, natürlich unter Vermeidung von Monte Carlo, wieder auffrischen. Hören Sie von seiner Existenz da herum, so möchte ich Ihnen vorschlagen - wenn nicht inzwischen russische Fürstinnen oder amerikanische Flirt-Virtuosin- nen Ihr gesellschaftliches Leben auf eine höchste Höhe gehoben haben - sich seiner zu bemächtigen, ihn durch eine Karte (die freilich, was ich aber bei Frau Paula Conrad als selbstverständlich voraussetze, ein Meisterstück sein müßte) heranzucitieren. Ich weiß nicht, ob das geht; wenn es aber ginge, so würden Sie in diesem Geheimrath einen ungewöhnlich klugen und liebenswürdigen Mann kennen lernen, der in allem, was Kunst heißt, zu Hause und nebenher auch noch der Vater des jetzt glaub ich umgetauf­ten Schillertheaters ist. Er hat es ins Leben gerufen. Das Sprungbrett zu dem allen könnte ich sein; "Ich wäre in Sie gedrungen etc." Von den "Zwanglosen" mit den Nordländern Brahm und Schlenther am einen und den Südländern Schiff und Welti am anderen Flügel, habe ich seit Wochen nichts gehört, auch von Erich Schmidt nicht. Ihn, den schönen Mann, und die nach meinem Geschmack ungemein reizende Frau (so daß man wirk­lich von einem seltenen Paare sprechen kann) hatten wir das Glück, eines Tages bei uns zu sehn. Es war schade, daß die bekannten Dioskuren wegen der Klein-Eyolf-Aufführung, namentlich wegen der Sorma, auf einem Kriegsfuße standen, Brahm ziemlich ärgeriert und ziemlich spitz gegen Ihren Herrn Gemahl, - sonst verlief alles normal. Meine Hauptaufmerk­samkeit galt dem Erich Schmidtschen Paar und es wollte mir so vorkom­men, als ob Glück und Liebe - die (wie könnt' es auch anders sein) sicher­lich da sind - doch ein wenig gedämpft oder verschleiert wären. Vielleicht ist diese Beobachtung nicht richtig, aber ich nehme sie einstweilen als rich-