tig an, und suche nach dem Grunde der Erscheinung. Und da kann ich keinen anderen finden als den, nun - mal allen Frauen, ganz besonders aber den Frauen hervorragender Männer innewohnenden Zug, sich "als ihm über" zu betrachten. Kaiserin Augusta fühlte sich dem alten Wilhelm, Victoria dem Kaiser Friedrich überlegen und mitunter will es mir sogar so Vorkommen, als ob auch die gute, alte Bismarck, geb. Puttkammer, das Gefühl der Überlegenheit gehabt hätte. Die Gründe dafür wechseln, aber immer wird einer gefunden. Die sogenannte "Feinheit" spielt dabei eine große Rolle. Neuerdings habe ich ein Buch gelesen: "Briefe des Unterstaatssekretärs und Hauptmanns im 56. Inf. Regiment Rindfleisch an seine Frau, geb. v. Ibling (oder so ähnlich) aus dem Jahr 1870 und 71." Diese Kriegsbriefe sind sehr reizend; aber das Merkwürdigste daran ist doch, inmitten aller Zärtlichkeit und alles Hochpatriotismus, ein gewisser Devotionston, ein freiwilliges, durch eine vorhergegangene gründliche Eheschulung herbeigeführtes Sich unterordnen unter die geb. v. Ibling. Der alte Ibling war Geh. Hofrath, erster Brunnenarzt in Wiesbaden und stand mit allerhand Fürstlichkeiten wie auf Du und Du. Nebenher war seine Tochter auch noch sehr hübsch. Rindfleisch dagegen stammte höchstens aus Küstrin und war vielleicht Sohn eines armen Conrektors oder Gerichtsvollziehers. Nun war er jetzt freilich Unterstaatssekretär und Kriegsheld, aber das Rindfleisch'ige könnt er trotzdem nicht los werden und die geborne v. Ibling war und blieb "ihm über". Ein klein bißchen ähnlich liegt es auch wohl in dem Fall der uns hier beschäftigt. Übrigens bin ich geneigt, immer auf die Seite der Frauen zu treten; eigentlich erkennen Sie die Situation am richtigsten. Ruhm und Größe sind meist mehr eine Annahme als eine Wirklichkeit, und ist die Wirklichkeit auch wirklich mal da, so mischt sich so vieles mit ein, was die ganze Herrlichkeit wieder balanciert. Das Schönste war doch die Zeit der Patriarchen, obschon Abraham (Brahms Großvater) im Opferdienst mir etwas zu streng und Jacob ein entschiedener Mogelante war. Aber trotzdem, die Heerden, die Knechte, selbst die Kamee- le, und dann zuletzt ein Grab in einem Felsen. Wie schön. Jetzt - ich hab es erst vor 3 Tagen in einem Buche, das G. Kellers Krankheit, Tod und Feuerbestattung behandelte, gelesen - wird man wie in einen Backofen hineingeschoben. Das mag ich nicht. Da bin ich mehr für Winter und Schneeflocken, um mit dem zu schließen, womit ich angefangen. Frau und Tochter grüßen aufs beste; den Brief der Ersteren haben Sie hoffentlich erhalten.
In herzlicher Ergebenheit Ihr Th. Fontane.
San Remoer Tage: Durch ein Halsleiden hatte Paula Schlenther ihre Tätigkeit als Schauspielerin längere Zeit unterbrechen müssen.
Böcklinsche Meeresbläue: Anspielung auf Gemälde von Arnold Böcklin (1827 -1901). y
jenseits von gut und böse: Anspielung auf Friedrich Nietzsches gleichnamige Schrift, die 1886 erschienen war.
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