Oder:
"Mit alledem prophezeit der alte Fontane (...) - ohne sich darüber auch nur entfernt im klaren zu sein - seinem Bismarckschen Preußen-Deutschland ein neues Jena." 5
Oder:
"Die revolutionäre Botschaft des Stechlinsees läßt sich als Hinweis auf die kommende Revolution des Proletariats deuten..." 6
Soweit fünf verschiedene Interpretatoren mit fünf unterschiedlichen Auffassungen, die in der Bewertung des Stechlin von reaktionär, politisch nihilistisch, reformistisch, absichtlich bzw. unabsichtlich revolutionär reichen. Dies sind aber nur scheinbar alle denkbaren Positionen, denn es lassen sich noch ganz andere Meinungen finden. Angefangen mit Conrad Wandrey, der dem Stechlin jeden politischen Charakter überhaupt abspricht, 7 über Yozo Tatsukawa, von dem sich Fontanes Werk Schelte für seinen "Mangel an Zukunftsperspektiven" einhandelt, 8 bis hin zu Paul Irving Anderson, der entdeckt haben will, daß in der früheren Romankonzeption "das Grundthema ursprünglich der Antisemitismus war", was man auch in der veröffentlichten Fassung noch nachvollziehen könne. 9 Damit stellt sich Anderson gegen die einzige bis 1991 noch existierende Übereinstimmung bei den Interpretatoren, daß das Grundthema des Romans das Verhältnis von "Alt - Neu" sei, symbolisiert im See Stechlin. 10 Mit einem anderen, lange Zeit gültigen Konsens, der Ansicht, daß Dubslav ein Selbstportrait Fontanes sei, 11 hat bereits u.a. Ulrike Tontsch aufgeräumt, die generell das "der gesamten Fontane-Rezeption immanente Stereotyp der Interdependenz zwischen Werk und Mensch" kritisiert. 12 Die so oft postulierte Identität Fontanes und Dubslavs hat sich als Mythos entlarvt. 13 Muß man sich nun damit abfinden, daß es nicht möglich ist, zu einer belegbaren, hieb- und stichfesten Interpretation des Stechlin zu gelangen? Es scheint lohnenswert, nach einem anderen Zugang zum Text zu suchen und dabei zwei in manchen der bisherigen Forschungen auszumachende Störfaktoren zu vermeiden. Wichtig ist, daß man nicht versucht, den Stechlin mit der Brille der eigenen politischen Überzeugung zu betrachten, wie dies z.B. Georg Lukács getan hat. Zumal man, in Anbetracht der kontroversen Diskussion des Themas "Alt und Neu" im Roman, fast jeden politischen Standpunkt mit Zitaten belegen kann. Ebenso dürfte es geraten sein, die Person Fontanes aus dem Spiel zu lassen. Zu oft hat man versucht, mit au s dem Kontext gerissenen Briefaussagen des Autors die eigene Interpretationsvariante zu belegen. Da der Briefeschreiber Fontane aber fast jedes Problem von zwei Seiten gesehen hat, ist es nicht schwer, ihn zum Zeugen für oder gegen etwas zu machen, ohne daß dies seiner tatsächlichen Überzeugung entsprochen haben muß. Das Bewußtsein dieser Gefahr ist in der jüngeren Fontane-Forschung gewachsen. 14
Es dürfte daher wünschenswert sein, Fontanes letzten vollendeten Roman, zu dem sich überdies nur wenige und kaum aussagekräftige Bemerkungen
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