Heft 
(1994) 57
Seite
50
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seines Autors finden, einmal nur auf der Basis des Textes selbst zu inter­pretieren - wobei natürlich zeitgeschichtliche Hintergründe zu berücksich­tigen und zu erläutern sind.

Mehrere Interpretatoren haben den für weitere Analysen zu beschreiten­den Weg gewiesen, beispielsweise Walter Müller-Seidel mit seiner abstrakten, noch zu füllenden Formel, im Stechlin handele es "...sich um die Ablösung von Herrschaft und die Konstituierung neuer Herrschafts­formen ." 15 Müller-Seidel hat, die vielbeschworene Ähnlichkeit zwischen Dubslav und Fontane dabei aus dem Spiel lassend, ebenfalls erläutert, daß Dublav bereits veraltete Positionen vertrete, eine "Kunstfigur des Über­gangs" sei: "Er selbst aber hat so, wie er ist und denkt, keine Zukunft mehr ." 16

Wenn Dubslav den Übergang verkörpert, wer oder was kommt dann nach ihm? Hat Thomas Mann recht gehabt, als er, als einziger, die Bedeutung des oft für seine Blässe gescholtenen Woldemar 17 sowie die Richtigkeit von dessen Brautwahl hervorgehoben hat?

"Uns (...) sollte die Natürlichkeit, Angemessenheit und Notwendig­keit von Woldemars Entscheidung denn doch einleuchten ." 18

Ist Woldemar also der Vertreter einer neuen, hoffnungspendenden Genera­tion? Zeichnet der Stechlin das Bild einer besseren, zukünftigen Gesell­schaft? Einige wenige Untersuchungen sind, mehr am Rande, zu in diese Richtung weisenden Ergebnissen gekommen. G. W. Field stellt beispiels­weise fest:

"Wenn der Roman überhaupt eine Antwort (auf die Frage nach der politischen Perspektive; S.N.) andeutet, so liegt sie in der Hoffnung auf Ausgleich, auf Anpassung und auf Fortschritt mittels Opfer und Evolution ." 19

Und Maria Delille, die sich mit dem Joao-De-Deus-Motiv im Stechlin aus­einandergesetzt hat, schlußfolgert:

"Über die kritische Analyse der zeitgenössischen Wirklichkeit hin­aus zeigt Der Stechlin, den man bis zu einem gewissen Punkt einen politischen Erziehungsroman nennen kann, klar idealisierende Züge." Es sei "...die Hoffnung auf eine neue, in utopischen Begriffen umschriebene Gesellschaft deutlich sichtbar ." 20

Demnach würde das Joao-De-Deus-Motiv Lorenzens Charakter verklären und in der Folge davon auch Woldemars, der ja der Schüler des Pastors ist und, als künftiger Herr auf Schloß Stechlin, der wohl wichtigste Vertreter der jungen Generation im Roman. Kann aber der stets für seine Blässe gescholtene Woldemar die Verantwortung für die zukünftige, bessere Welt auf seinen schwachen Schultern tragen? Ein Blick auf den Romananfang gibt hierüber bereits ersten Aufschluß.