Heft 
(1994) 57
Seite
51
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2. Die Exposition: das erste Kapitel 21

Fontane legte, das ist bekannt, großen Wert auf den Romananfang, der in den meisten seiner Werke im Sinne einer Exposition die Thematik erschließt und das folgende Geschehen vorausdeutend vorwegnimmt. 22 Das gilt auch für Fontanes Roman. Zuerst führt uns der Erzähler zum See Stechlin, den er geographisch fixiert; ein See, den es, so wie er beschrieben wird, tatsächlich gibt. Der See unterhalte - dies entspricht einer alten über­lieferten Sage und ist nicht Fontanes Erfindung - geheimnisvolle Weltbe­ziehungen. Der Wasserstrahl und der rote Hahn werden erwähnt. Der Wald, so fährt der Erzähler fort, trage ebenfalls den Namen Stechlin - auch ihn gibt es wirklich, obwohl er anders heißt. 23 Nun erst folgt, nach fast einer Seite der Beschreibung des real Gegebenen, die Fiktion:

"Und Stechlin heißt ebenso das langgestreckte Dorf, das sich, den Windun­gen des Sees folgend, um seine Südspitze herumzieht" (S. 7).

Genauso realistisch wie der existierende See wird nun das erfundene Dorf beschrieben, die Erzählung gleitet übergangslos in die Fiktion hinein. Eine Fiktion, die so den Anschein des Realen bekommt.

Diese beiden ersten, dem See und dem Dorf gewidmeten Passagen dienen aber nur der Hinführung auf das erfundene, durch diesen Einstieg beglau­bigte "Schloß Stechlin", das diesem Romanteil (Kapitel 1 bis 6) den Titel gegeben hat (vgl. die Überschrift S. 7). Nicht der See also, wie bisher in der Forschung angenommen, sondern das Schloß steht in diesem Romanab­schnitt im Mittelpunkt des Interesses. 24 Der Erzähler führt den Leser über die Kette: geographische Lage (Mark Brandenburg) - Natur (See und Wald) - menschliche Ansiedlung (Dorf) an das einzelne Gebäude (Schloß) heran. Wie ein Zoom fährt der Blick des Erzählers, anfangs einen weiten Land­strich überblickend, auf das immer größer werdende Gebäude zu, identifi­ziert es als Bestandteil des großen Ganzen. Hier klingt bereits das Romanthema des "Zusammenhangs der Dinge" an. Durch diese Art der Reihung authentischer und fiktionaler Elemente geschieht aber noch etwas anderes: das Schloß wird zu einem gleichwertigen, natürlichen Bestandteil der Landschaft, es gehört dort hinein wie der See und das Dorf. Dazu paßt, daß es sich nicht um einen neuen, prunkvollen, in Disharmonie zu seiner Umgebung stehenden Palast handelt, sondern um ein altes, im nüchternen Stil der Soldatenkönig-Zeit gehaltenes Gebäude - "...und war nichts weiter als ein einfaches Corps de Logis... (S. 8).

Ebensowenig wie das " Schloß" scheint der "Schloßherr" seinen Titel zu ver­dienen, ist er doch, trotz seines Adels und adeligen Selbstgefühls, ein humorvoller, selbstironischer, humaner und gar nicht überheblicher Mensch mit - auch das zeigt seine Eingebundenheit in die Landschaft - einem "märkisch-herkömmlichen Lebenslauf (S. 10). Indem der Erzähler das Schloß und seine Bewohner vorstellt, portraitiert er also zunächst einmal deren ebenso traditionelles wie harmonisches Eingefügtsein in ihre Umge­bung. Dieses Bild steht exemplarisch für das gute, alte Preußen des Solda-