Heft 
(1994) 57
Seite
52
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tenkönigs und des alten Fritz, das sich nur noch in entlegenen brandenbur- gischen Winkeln wie diesem gehalten hat. Ein patriarchalisches System im Kleinen ist alles, was im Kreise der Stechline liegt. Nicht zufällig lebt Dub- slav nach dem Vorbild Friedrichs des Großen (S. 11), ist er doch ein Frie­drich der Große im Kleinen.

Daß es sich um ein überkommenes System handelt, wird deutlich in den allgegenwärtigen Zeichen des Verfalls. Dubslav lebt am Rande des finanzi­ellen Bankrotts (S. 13). Sein "Schloß", der frühereNeubau" (S. 8), ist nun '...ein alter Kasten und weiter nichts (S. 12), an dem der Kalk abfällt (S. 9). Nur die Dorfbewohner können noch, wie Dubslav selber meint, darin etwas Schloßartiges entdecken (S. 12). Diener Engelke, zu dem Dubslav in einem patriarchalisch-humanen Verhältnis steht, trägt eine Livree mit Knöpfen,...die noch die Zeiten des Rheinsberger Prinzen Heinrich gesehen hat­ten..." (S. 14). Sichtbarstes Zeichen, daß hier das untergehende bzw. nur in der Provinz noch nicht untergegangene alte Preußen gezeichnet werden soll, ist die vor dem Schloß wehende preußische Flagge, "...schwarz und weiß, alles schon ziemlich verschlissen" (S. 15). Sie ist so brüchig, daß sie einen zusätzlichen roten Streifen nicht mehr tragen kann. Der rote Stoff, den Engelke annähen will, ist aber nicht, wie bisher in der Forschung ange­nommen wird, ein Zeichen revolutionärer Vorbedeutung. Durch die Hin­zufügung soll die preußische Flagge zur Fahne des Deutschen Reichs wer­den, dessen Farben seit 1871 Schwarz-Weiß-Rot waren (eine Vereinigung der preußischen Farben mit denen der Hansestädte; die Änderung in Schwarz-Rot-Gold erfolgte erst 1919). 25 Daß die zerschlissene Flagge sogar eine solche Anpassung an seit fast einem Vierteljahrhundert bestehende Tatsachen nicht duldet, macht deutlich, wie rückwärtsgewandt Dubslav, wie sehr Fossil einer überkommenen Zeit er eigentlich ist. Einer Zeit, die vor der Gründung des Deutschen Reiches liegt, wie der Erzähler erläutert:

Wenig mehr als ein Jahr vor Ausbruch des vierundsechziger Kriegs war ihm ein Sohn geboren worden, und kaum wieder in seine Garnison Bran­denburg eingerückt, nahm er den Abschied, um sich auf sein seit dem Tode des Vaters halb verödetes Schloß Stechlin zurückzuziehen. Hier warteten seiner glückliche Tage, seine glücklichsten, aber sie waren von kurzer Dauer - schon das Jahr darauf starb ihm die Frau. Sich eine neue zu neh­men, widerstand ihm, halb aus Ordnungssinn und halb aus ästhetischer Rücksicht" (10).

Dubslav gebraucht, um nicht wieder heiraten zu müssen, die Ausrede der Auferstehung (Ausrede deshalb, weil er selber nicht daran glaubt) und mottet sich ein, schottet sich ab, verschanzt sich in seiner alten Kate und nimmt nicht mehr an der äußeren Entwicklung teil. Zu Dubslavs Fossilcha­rakter paßt, daß er nicht einmal Telegramme mag (S. 15). Diese sind nicht etwa Boten einer neuen Zeit, sondern längst gebräuchliche technische Errungenschaften und gehören - jedenfalls in den 90er Jahren des 19. Jahr­hunderts, in denen der Roman spielt - zur alltäglichen Praxis, sind bereits jahrzehntelang gesellschaftliches Inventar. Nur jemand, der sich seit mehr