stellte sich nun die Aufgabe, diese Phase differenzierter und umfassender nachzuzeichnen, Übergänge zu benennen und nach ihrem Stellenwert für die schriftstellerische Entwicklung eines Autors zu fragen, dessen Weltruhm heute mit dem Spätwerk verbunden ist. "Ich sehe klar ein", schreibt er 1882 an seine Frau, “daß ich eigentlich erst bei dem 70er Kriegsbuche und dann bei dem Schreiben meines Romans ein Schriftsteller geworden bin, d.h. ein Mann, der sein Metier als eine Kunst betreibt, eine Kunst, deren Anforderungen er kennt. Dies letztre ist das Entscheidende."
Das erklärt nicht hinreichend, warum der Lyriker Fontane für längere Zeit zurücktritt, und die Zusammenhänge zwischen der politischen Konversion des Autors nach 1849 und der Ausbildung eines eigenen Prosastils reduzieren sich auch nicht auf die Frage nach dem bei den Konservativen beheimateten Journalisten Theodor Fontane (obwohl die ersten "Wande- rungs"-Bände sehr direkt aus diesen neuen Kontakten schöpfen, wie Fischer 1986 gezeigt hat). Gleich zu Beginn der Konferenz warnten beide Veranstalter vor einer nun ins andere Extrem schwenkenden Betrachtung, einer "Vereinnahmung" Fontanes aus konservativer Sicht. Schon Thomas Mann hatte die künstlerische Psyche des Berliner Romanciers als kompliziert bezeichnet.
Die Konferenz von 1993 verfolgte den Weg des Schriftstellers bis in die 50er Jahre zurück. Auch dazu hatte ein Kreis aus Berliner und Bochumer Germanisten um Wruck und Wulf Wülfing (Bochum) in den 80er Jahren eine neue Ausgangsbais geschaffen, indem die Tätigkeit Fontanes in der Vereinigung zeitgenössischer Autoren, die sich “Tunnel über der Spree" nannte, aufgehellt wurde, von Wülfing mit Betonung der Revolutionsjahre (s. Fbl. 50/1990). Berbig, ein hervorragender Kenner des Tunnelarchivs, konnte einen der ersten Höhepunkte der Tagung setzen, indem er an Sitzungsprotokollen zeigte, daß der aus England heimkehrende Fontane (1859) eine Auseinandersetzung mit seinem Gefährten Lepel im "Tunnel" provoziert, um neue Prosastrukturen zu fordern und zu fördern, die er als Errungenschaft seiner Englandjahre empfand. (Wülfing erinnerte, daß die Liberalen Gutzkow u. Schmidt den ARGO-Autoren um Kugler und Fontane vorgeworfen hatten, sie könnten keine Romane schreiben). Es war ein kluger Einfall der Konferenzleitung, als Auftakt der dreitägigen Beratung Nürnberger resümieren zu lassen, was als Ertrag und "Erfahrung der England-Jahre" gelten kann (vgl. dessen Buch: Der frühe Fontane, Reinbeck 1967). Nürnberger betonte die Übergänge von den englisch-schottischen Stoffen zu den märkischen, von den "Tudors auf die Puttkammers". 1874 hebt Fontane selbst den Zusammenhang beider Stoffbereiche unter dem Primat der Prosa hervor. Nürnberger öffnete über diesen Zeitraum hinaus ein weites Spektrum für Fragen an die Schriftsteller-Biographie. Alle späteren Ansichten seien tief in den Englandjahren verwurzelt, kaum ein Roman, in dem nicht direkte und indirekte Bezüge zu finden wären. Bemühe man sich um die Künstlerbiographie, müsse weiter ausgegriffen werden. Ein Zehn- bzw. Zwanzigjahrrhythmus sei nicht zu übersehen, der im Erscheinungsbild des Dichters wichtige Übergänge und entsprechende
Wandlungen markiere.
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