Heft 
(1994) 57
Seite
116
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Elisabeth Vollers-Sauen Prosa des Lebensweges. Literarische Konfigura­tionen selbstbiographischen Erzählens am Ende des 18. und 19. Jahrhun­derts. - Stuttgart: M und P, Verlag für Wissenschaft und Forschung 1993. 217 S.

(Rez.: Joachim Biener, Leipzig)

Das Buch enthält zwei große Kapitel. Im ersten Teil werden "Heinrich Stil- lings Jugend", Karl Philipp Moritz' Roman "Anton Reiser", Ulrich Bräkers "Leben und Abenteuer des armen Mannes im Tockenburg" und auch Johann Gottlieb Seumes Autobiographie "Mein Sommer" untersucht, neben minder wichtigen Autobiographien des Tirolers Peter Prosch und des von Goethe geförderten Weimaraners Johann Christoph Sachse. Im zweiten Teil geht es ausschließlich um Fontanes autobiographische Werke, vor allem um "Meine Kinderjahre". Das Ganze wird umrankt oder unter­brochen von stärker theoretisch geprägten Abschnitten und Exkursen, zum Beispiel über einschlägige Schriften Herders, Christian Friedrich von Blanckenburgs oder Johann Carl Wezels oder über literaturtheoretische "Fabeln" und Legenden, die aus Anlaß autobiographischer Literatur ent­standen.

Man ist jedenfalls überrascht, daß Fontane zu Autoren der Aufklärungszeit und des Sturm und Drang so breit in Beziehung gesetzt wird. Man ist noch mehr erstaunt, daß er als einzelner mit einer ganzen Gruppe von Schrift­stellern aus dem 18. Jahrhundert konfrontiert wird.

Was sind die Beweggründe der Verfasserin im allgemeinen und für die Zusammenstellung der Schriftsteller im besonderen? Im Interesse einer all­gemeineren inhaltlichen Interpretation und gattungs- und genrespezifi­scheren Einordnung geht sie vom modernen Mißtrauen gegen die Autobio­graphie und selbstbiographische Werke aus. So werden "Heinrich Stillings Jugend" als idyllische wahrhafte Geschichte, der "Anton Reiser" als wis­senschaftlicher psychologischer Roman und lediglich "Das Leben und die Abenteuer des armen Mannes im Tockenburg" als wirkliche Autobiogra­phie, als authentische Darbietung eines Lebensweges dargestellt.

Zu Fontane liegt spürbar auch eine starke persönliche Affinität vor. Seine Einbeziehung soll sowohl die poetisch-strukturelle Erweiterung der Mög­lichkeiten autobiographisch fundierten und inspirierten Schreibens demonstrieren als auch - freilich nur ansatzweise - einen Beitrag zur Litera­turg eschichte, zur Entwicklung der Darbietung von L ebenswegen, erbringen.

Eine nicht unerhebliche Rolle spielt die Auseinandersetzung mit - Literatur wissenschaft, mit "Fabeln" und Legenden zur Autobiographik. So wende sich Völlers-Sauer gegen teleologische und typologische Konzeptionen von autobiographischer Literatur, so zum Beispiel gegen das teleologische Ele- ment in der sonst realistischen Romantheorie Blanckenburgs oder g e g e n die Kanonisierung von Goethes "Dichtung und Wahrheit" durch Günter Niggl und Klaus-Detlev Müller. Ferner versucht sie, Jürgen ild Lehmanns B vom darstellerischen Wandel der Autobiographie vom Bekennen über das