dotisch szenisch strukturiert, nicht entelechetisch ausgerichtet. Die Erinnerungen würden vom Räumlichen und Gegenständlichen ihren Ausgang nehmen.
Als künstlerische Gestaltungsmittel werden Gesprächstechnik, Rolle der Anekdote und Detailmalerei untersucht. Der "sprechgestischen Vergegenwärtigung einer vergangenen Lebenswelt" diene vor allem die sorgfältige Ausarbeitung der "Sprechphysiognomik" des Louis Henri Fontane. Die Anekdote in ihrer Realitätsbezogenheit, in ihrer Gerichtetheit auf die geschichtlich-gesellschaftliche Welt sei eine wesentliche Grundlage für die Nicht-Innerlichkeit der Fontaneschen Autobiographik. Überraschend wird der Begriff der "Eigentlichkeit" in Frage stellt. "Die Hypertrophie des Wortes 'eigentlich' im Roman der Kindheit verweist auf eine Uneigentlichkeit des Lebens im Zitat, in dem die Frage nach dem 'Eigentlichen' ausgespart bleibt. 'Eigentlich' sind alle Figuren Fontanes 'uneigentliche' Figuren, die in ihren beständigen Inszenierungen nicht wissen, wer sie 'eigentlich' sind ... Auf die Frage nach dem Eigentlichen eines Menschen, eines Kreises von Menschen, geben Fontanes Romane keine Antwort. Die Figuren werden nicht erfaßt und dargestellt als Charaktere ..." (S. 198 f.) Gewiß, in einer Zeit des Relativismus, die Fontane besonders stark empfand, äußern sich seine Figuren vorwiegend redend, weniger handelnd. Aber gerade das akzentuierte gestische Sprechen in der gesellschaftlichen Übergangszeit verleiht ihnen doch Umriß, Plastik und Einprägsamkeit, wirkliche Gestalt- haftigkeit. Wären Fontanes Romane so oft verfilmt worden, wenn seine Gestalten schattenhaft wären, wenn mit ihnen die Auflösung der Gestalt begönne, wenn sie Vorstufe zu Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften" wären?
Das Kapitel über Von Zwanzig bis Dreißig befaßt sich zunächst mit dem Charakter des Spätwerkes als Historiographie und als literarische Typenstudie. Als gestalterische Hauptprobleme werden die Rolle der Ironie und die Varianten des Perspektivewechsels verfolgt. Dabei werden subtile dialektische Erkenntnisse gewonnen, die Fontanes ideeller Labilität entsprechen. Ein Höhepunkt ist die Analyse des Abschnittes über den Apotheker Wilhelm Rose. Es werden Widersprüche zwischen Fontanes Begriff des Bourgeois und der Person des Apothekers aufgedeckt. Rose sei nach Fon
tanes Beschreibung ein Mann angeberhafter Selbstinszenierung, eine
tief
komische Gestalt, aber nicht unbedingt ein Bourgeois. Fontane verfahre als "Erzähler", der den Apotheker als komischen, nichtigen Provokateur enthüllt, überzeugender denn als definierender "Soziologe" (S. 186). Es mag richtig sein, dem Gestalter bzw. Schilderer mehr zu vertrauen als dem Ideologen. Unabhängig davon hatten damals aber auch Gustave t Flauber und der junge Heinrich Mann einen primär gesinnungsmäßigen, vorrangig ideell-moralischen Begriff vom Bourgeois, wenn sie in ihm ein niedrig empfindendes und denkendes Wesen sahen. Der vormärzliche Apotheker mag für die "Geldsackgesinnung", für den "Geheimbourgeois", den für "Bourgeois ohne Arnheim" nicht das völlig geeignete Anschauungsobjekt gewesen sein. Er ist eben auch ein Zeugnis für die Vermischung der Zeite- benen in Fontanes memoirenhafter Autobiographie.
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