Heft 
(1994) 57
Seite
126
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Evangelische Akademie Baden (Hrsg.): "Was hat nicht alles Platz in eines Menschen Herzen..." Theodor Fontane und seine Zeit. Unter der Redaktion von Michael Nüchtern und Ralf Stieber. - Karlsruhe: Verlag Evangelischer Presseverband für Baden e.V. 160 S. (= Herrenalber Forum Bd. 3)

(Rez.: Hans Ester, Nijmegen)

Vom 14. bis 16. Februar 1992 wurde von der Evangelischen Akademie Baden eine Tagung veranstaltelt, auf der das erzählerische und lyrische Werk Theodor Fontanes im Mittelpunkt des Interesses stand. Die auf der Tagung gehaltenen Vorträge liegen jetzt gedruckt vor. Wie aus dem Titel des Bandes hervorgeht, wurde das Thema recht allgemein formuliert. Das hat zu einer breiten Palette von Perspektiven und Annäherungen geführt. Daneben ist jedoch ein gemeinsames implizites Thema vorhanden, das etwa als die Frage nach der ethischen Substanz von Fontanes Werk und seiner Bedeutung für die Lebensorientierung heutiger Menschen zu umschreiben wäre. Ausgehend von dieser impliziten Problemstellung läßt sich eine gewisse Zweiteilung des Bandes feststellen. Bei Gerhard vom Hofe in seiner Darstellung des Patriotismus in Fontanes Vor dem Sturm, beim Theologen Eilert Herms in seinem Beitrag über "Christliche Weltlich­keit und weltliche Christlichkeit" und im als Predigt ausgesprochenen Text Michael Nüchterns ist der ethische Aspekt am deutlichsten vorhanden.i Be Helmuth Nürnberger, der sich mit dem Künstler als Thema Fontanescher Gedichte befaßt und bei Walter Müller-Seidel, der die Frage nach dem "Ort Fontanes an der Schwelle zur Moderne" stellt, ist dies weniger der Fall. Ungefähr in der Mitte befindet sich Karla Müller mit ihrem Beitrag "Das umgrenzte Ich. Überlegungen zum Menschenbild in Fontanes Romanen."

Um es gleich vorweg zu sagen: der Artikel Karla Müllers hat mir von allen Beiträgen am besten gefallen. Den Ausgangspunkt bildet folgende Feststellung: "Das Ich ist bei Fontane nicht mehr das sich in der Auseinan­dersetzung mit der sozialen und natürlichen Umwelt entwickelnde und vervollkommnende Individuum der Goethezeit. Das Ich steht in einem von Konventionen, Normen und Sanktionen gekennzeichneten gesell­schaftlichen System, das dem Individuum Grenzen setzt, an denen sich die Konflikte entzünden." (S. 62) Das Ich, so lautet der Gedanke der Verfasse­rin, ist bei Fontane noch in einer zweiten Hinsicht umgrenzt. Hierbei geht es um das Innere des Menschen, um das Psychische und Irrationale. Die Verbindung von äußerer und innerer Umgrenzung des Menschen kommt in Fontanes Werk sehr schön in den Raumbildern zum Ausdruck. Was geschlossene Räume bei Fontane unterschwellig bedeuten und was eine triviale Handlung wie das Aus-dem-Fenster-Blicken impliziert, arbeite Karla Müller mit sicherem Gespür für die besonderen literarischen Mitte Fontanes heraus.

Daß Kunst und Künstler bei Fontane auch ein dichterisches Thema bil- den, zeigt Helmuth Nürnberger in seinem Aufsatz, der durch einen sou