Heft 
(1994) 57
Seite
128
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sals, und er kommt zu Formulierungen wie: "Hier in Ellernklipp' sehen wir nun das Gelingen einer Geschichte menschlicher Liebe und dies im Rahmen von sozialen, institutionellen Verhältnissen, die dieses Gelingen zwar zulassen, aber durch es selbst in der Tiefe nicht berührt werden." (S. 103) Im Zusammenhang mit t Ellernklip p ist gewiß noch ein klärendes Wor mit dem Autor möglich. Sobald es sich aber um Schach von Wuthenow han­delt, habe ich das Gefühl, daß Herms eine ganz andere Fassung der Novel­le oder womöglich ein völlig anderes Buch vor sich hat. Unter Weglassung einer ganzen Reihe von Textelementen, ja, unter Mißachtung der grundle­genden Struktur der Novelle gelangt er zu der verblüffenden Erkenntnis: "Kein Zweifel, Schach liebt Victoire wirklich." (S. 110) Aber warum heiratet er sie dann nicht? Herms: "Keineswegs daß eine solche Entscheidung - also der Verzicht auf Karriere zugunsten der Ehe - in Schachs eigenen Augen schlechthin ridikül wäre. Ab er er sieht keine Möglichkeit, dies auch der Welt deutlich zu machen. Denn das, was er an Victoire als bezaubernd erlebt und liebt, das liegt nicht auf der Hand. Das sieht nicht jeder, und vor allen Dingen: das läßt sich nicht malen, nicht in der Ahnengalerie darstellen." (S. 111) Leider, so müssen wir feststellen, sind die psychische Struktur des Rittmeisters Schach von Wuthenow und die Verflechtung dieser Psyche mit sozialen Bedingungen komplexer, als es diese tröstliche Auslegung wahrhaben will. Was hätte Eilert Herms wohl mit Lene und Effi angefangen, hätte die Zeit hier keinen Riegel vorgescho­ben?!

Im abschließenden Text des Bandes kommt Pfarrer Michael Nüchtern zu Wort. Er sucht nach einer Verbindung von christlichem Glauben und Fontane- scher Dichtung und findet sie im Begriff der Rechtfertigung. Nach Nüchtern - ich schließe mich seiner Meinung an - rechtfertige Fontane in seinem Werk jene Figuren, die von der Gesellschaft verurteilt oder ins Abseits gestoßen werden. Problematisch wird es aber, wenn mit dieser Art von Rechtfertigung der theologische Begriff verbunden wird, es sei denn, die theologische Recht­fertigung würde so verwässert, daß sie letztlich alles (und nichts) umfaßt Sehr überzeugend dagegen finde ich den Schlußgedanken des Autors, in dem es um den allgemeinen ethischen Impuls der Hoffnung geht: "Was gäbe uns die Kraft, Fragen des Lebens offenzuhalten, wenn es nicht einen Ort gäbe, wo wir auf ihre Lösung und unsere Erlösung hofften?" (S. 158)

Vorträge, die für ein größeres Publikum bestimmt sind, bilden eine ande­re Kategorie von Texten als wissenschaftliche Abhandlungen und haben auch andere Wirkungsmöglichkeiten. Sobald jene aber veröffentlicht und vor das Forum der wissenschaftlichen Forschung gelegt werden, setzen sie sich damit dem Urteil der Forschung aus. Angesichts der bestehenden Publikationen über Fontane ist die Feststellung daher unvermeidlich, da in diesem Band an manchen Stellen das Rads aufs neue erfunden wird.