Heft 
(1990) 49
Seite
97
Einzelbild herunterladen

MEIN FONTANE-GEDICHT

Joachim Biener, Leipzig

Lied des James Monmouth"

FontanesLied des James Monmouth" lernte ich um 1940 im Englisch-Unterricht an der Pirnaer Oberschule kennen. Studienrat Dr. Otto Nietzelt las es vor. Der unter- richtliche Zusammenhang ist mir entfallen, vermutlich betraf er die englisch-schotti- che Geschichte. Otto Nietzelt hatte überhaupt große Wirkung auf uns, z. B. durch dieMacbeth"-Behandlung oder durch die Interpretation der schottischenEd- ward"-Ballade. Nicht vergessen habe ich auch seinen nonkonformistischen Ausspruch: Ein anständiger Kollege ist mir lieber als ein schlechter Kamerad". Das war seine Replik auf das NS-Gebot, wonach sich auch die Lehrerkollegen militärisch alsKame­raden" anreden sollten.

Weshalb ist dasLied des James Monmouth" bis heute haften geblieben? Sicherlich wirkten bereits damals auf uns Schüler die Antithesen des Gedichts und sein einpräg­samer lakonischer Ton. Bestimmt aber weiß ich, daß ich es als Opposition gegen eine ganz bestimmte Tendenz des Religionsunterrichtes empfand. Wir hatten damals einen Religionslehrer, der gegen Sinnlichkeit, Liebe und Lebensgenuß fast zelotisch eiferte. Ich sehe ihn noch in seiner priesterhaften Strenge vor uns stehen. Möglicher­weise stand auch dahinter ein gewisses Unbehagen amDritten Reich". Die spirituali- stische, asketische Denunzierung der Sinne und der Sinnlichkeit, die in Deutschland bekanntlich eine lange und tiefe Tradition hat (so litten besonders Heinrich Heine und Friedrich Nietzsche unter ihr) blieb nicht ohne Eindruck auf den Schüler, der dasLied des James Monmouth" als befreiend wirkende Alternative empfand. Das ly­rische Fazit des Gedichtes, in der Schlußstrophe konzentriert ausgedrückt, ist mir seitdem wie eine Volksliedstrophe zitierbar gegenwärtig.

Nun hat das balladeske Rollengedicht auch eine fatalistisch-deterministische Kompo­nente, und man kann Unbewußtes nicht ausschließen. Aber ich glaube nicht, daß bei der damaligen Rezeption der aktuelle Aspekt der faschistischen Todesbereitschaft eine Rolle gespielt hat.

Der sensualistische Hedonismus und die gestisch-griffige lakonische Diktion sind für mich auch heute das Wesentliche an dem 1853 entstandenen Gedicht. Hinzu kommen jetzt Faktoren und Elemente, die sich aus dem Wissen um Fontanes Weltanschauung und Ästhetik und um die Situation der deutschen Literatur im Nachmärz ergeben und die das Verständnis der Verse vertiefen.

Weltanschaulich spiegelt das bailadenhafte Lied Fontanes Dialektik von Schicksal- haftigkeit und Freiheit und (die Stuarts neigten zu Rom) seine Sympathien für die Sinnenfreudigkeit des Katholizismus, im Unterschied zum Asketismus bornierter preußischer Protestanten wie der Adelhaid von Stechlin, der Domina von Wutz.

Wie Fontane am 14. 2. 1854 dem reinen Erlebnislyriker Theodor Storm mitteilte, hatte er das eigentlich Lyrische nicht in der Gewalt:Das Lyrische ist sicherlich meine schwächste Seite, besonders dann, wenn ich aus mir selber und nicht aus einer von mir geschaffenen Person heraus dies und das zu sagen versuche." Das Lyrische ist aber - das beweist sein ganzes späteres Schaffen in Vers und Prosa - durchaus

97