nicht die „schwächste Seite" Fontanes. Es offenbart sich bei ihm nur anders als in der traditionellen Lied- und Erlebnislyrik. Fontane verfügt, wie Iwan Turgenjew und Thomas Mann, vielleicht auch wie Georg Büchner, vor allem über die „Gabe der Beseelung" 1 ) von Vorgefundenem, Überliefertem. So entfaltet sich sein Lyrismus vorzugsweise über geschichtliche Stoffe und Figuren, über balladeske Vorgänge, über Romansituationen und Romangestalten. Seine zurückhaltende lyrische Subjektivität entlud sich außerdem bevorzugt im unmittelbaren Gelegenheitsgedicht, in der Naturstimmung und im Spruchgedicht, das er inhaltlich-formal zu höchster Einprägsamkeit und Reife entwickelte.
Im „Lied des James Monmouth" lehnt sich Fontane an die Geschichte an, dichtet aus der historischen Figur heraus und wächst damit gleichsam über sich selbst dichterisch hinaus. Damit läßt er die banalen, philiströsen „Katzenjammer"-Sprüche 2 ) aus der Zeit unmittelbar nach dem Scheitern der 48er Revolution und die kleinwüchsige Nachmärz-„Poesie fürs Haus" 3 ) hinter sich.
Das Gedicht findet sich in der gleichfalls 1853 entstandenen und 1854 erstmals gedruckten historischen Novelle „James Monmouth". Dort fungiert es genau in der Mitte als Rück- und als Ausblick auf das Leben des Helden, Es ist an Beseeltheit, Lakonik und poetischer Dichte nicht nur der Prosa der Novelle überlegen, sondern auch den anderen eingelagerten Gedichten, dem „Lied der Lady Wentworth", der Geliebten des James, die seinen politischen Ehrgeiz entflammt, und dem kollektiven Haßgesang der asketischen Puritaner gegen die Stuarts. Der Blick auf den ganzen novellistischen .Text ermöglicht die geschichtliche Einordnung, reduziert die abstrakte Schicksalhaftigkeit und zeigt die Stuarts, besonders James Monmouth, in der Widersprüchlichkeit zwischen geschichtlicher Überholtheit, ja Verlorenheit und liebenswerter Lebenslust, die eine Variante subjektiver Tragik darstellt, ähnlich der Maria Stuart Friedrich Schillers.
Theodor Fontane hat das bewegende „Lied des James Monmouth" neben dem historisch objektiveren, aber poetisch nicht so verdichteten Puritanerlied mit Recht in die gültige Auswahl seiner Gedichte aufgenommen.
Anmerkungen
1) Thomas Mann in „Bilse und ich" in: Altes und Neues, Berlin 1966, S. 10 f.
2) Vgl. Th. Fontane: Gedichte, Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1989, Bd. I, S. 472: Fontane bestreitet zwar gegenüber Bernhard von Lepel den „Katzenjammer "-Charakter der „Sprüche" (ebd. S. 23 ff.), objektiv wirken sie aber so.
3) Robert Prutz in: Die deutsche Literatur der Gegenwart 1848-1858, Leipzig 1859, zitiert bei Fritz Martini: „Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismus, 1848-1898", Stuttgart 1962, S. 265.
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