machen, der als verschollen galt, weil er an seinem Aufbewahrungsort, der Bibliotheque Nationale in Paris, unter dem Absender Horm registriert war. Habent sua fata etiam epistulae! Das von Laage kommentierte und interpretierte ausführliche Schreiben gehört u. a. deshalb zu den wichtigeren Selbstzeugnissen Storms, weil aus ihm hervorgeht, daß er von der außerdeutschen zeitgenössischen Literatur mehr gekannt hat, als gewöhnlich angenommen wurde. Der Brief enthält ein (recht eigenwilliges) Urteil über Flauberts „Madame Bovary" und empfiehlt dem Adressaten die Lektüre von Tilliers „Onkel Benjamin".
Laages Aufsätze zu einzelnen Stormschen Gedichten und Novellen sind vor allem deshalb interessant und wichtig, weil bislang unbekannte oder nicht beachtete Quellen oder Textzeugen in die Untersuchung einbezogen werden. So teilt der Verfasser von dem Gedicht „Westermühlen", das zuvor nur in der von Gertrud Storm veröffentlichten fragmentarischen Form bekannt war, eine handschriftliche (Entwurfs-) Fassung mit, die nicht nur doppelt so umfangreich ist wie das Fragment, sondern auch, im Vergleich zu diesem, mehrere variante Verse aufweist. Nun ist ein solcher Befund zunächst einmal nichts Außergewöhnliches, denn gerade von Gedichten, und keineswegs allein solchen von Storm, gibt es sehr häufig mehrere handschriftliche oder auch gedruckte Fassungen, die nicht selten beträchtlich voneinander abweichen und unterschiedliche Stufen der Textentwicklüng repräsentieren. Im vorliegenden Fall aber stellt sich die Frage nach der Authentizität der fragmentarischen Version, d. h. der bisher allein bekannten, weil auch die neu entdeckte Stormsche Handschrift aus dem Besitz seiner Tochter stammt und weitere Textzeugen nicht überliefert sind - so daß Laage eine Mitautorschaft von Gertrud Storm, in bezug auf das Fragment nicht ausschließt. Sofern keine weiteren Zeugen auftauchen, wird man sich wohl mit diesem „ungelösten Rätsel der Überlieferung" abfinden müssen.
Weniger rätselhaft, gleichwohl kompliziert genug ist die Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte des Gedichts „Geschwisterblut", eines Gegenentwurfs zu Franz Kuglers Ballade „Stanislaw Oswiecim". Darüber gibt es mehrere Arbeiten, u. a. eine von Joachim Krueger in Heft 26 (1977) der Fontane-Blätter, wo auch Kuglers Ballade zum erstenmal abgedruckt ist. Laages Untersuchung ergänzt Kruegers Aufsatz nicht zuletzt deshalb, weil hier eine zweite, allerdings nur geringfügig variante Abschrift der „Stanislaw-Oswiecim"-Ballade mitgeteilt wird, die Kugler eigens für Storm hatte anfertigen lassen.
Besonders wichtig ist der Aufsatz über den ursprünglichen Schluß der „Schimmel- reiter"-Novelle, d. h. über eine eingreifende Änderung, die Storm - vier Monate vor seinem Tode - noch in der Fahnenkorrektur für den Vorabdruck in Rodenbergs „Deutscher Rundschau" vorgenommen hat. Laages Fund ist eine erneute Bestätigung dafür, daß Storms Kunst des Andeutens, des Weglassens, auf die als erster Karl Emil Franzos aufmerksam gemacht und für die Albert Köster zahlreiche Belege beigebracht hat, auf unermüdlicher stilistischer Feinarbeit beruht. - Auf der Auswertung der handschriftlichen Überlieferung basiert auch Laages Arbeit „Zur Entstehung der Novelle ,Eine Malerarbeit'", eines Stormschen Werkes, das er, durchaus zutreffend, als „ein Stiefkind der Forschung" bezeichnet. Und in einem Aufsatz über „Pole Pop- penspäler“ gelingt ihm der Nachweis, daß Storm dort für das „Faust"-Puppenspiel den Text von Karl Simrock aus dem Jahre 1846 zugrunde gelegt hat.
Von ganz besonderer Bedeutung für die künftige Forschung ist der 54 Seiten umfassende Katalog des handschriftlichen Nachlasses von Theodor Storm, in dem die Überlieferung jedes einzelnen Gedichts, jeder Novelle und jedes anderen Prosatextes
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