Heft 
(1990) 49
Seite
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Tisch lagen die Blätter mit den Beschimpfungen und Verleumdungen, die jetzt über ihn in die Welt gesetzt wurden. Zwischen beiden Tischen hin und her gehend, fragte er fortwährend: .Was ist davon richtig?' Ich versuchte, ihn zu beruhigen .. . Aber der Dreiundsiebzigjährige hörte nicht zu, sondern sagte immer wieder: ,Nur eines kann richtig sein! Was ist davon richtig?' Dabei sah der sonst so heitere Mann entsetzlich aus .. ," 4 Fuldas Sohn Karl konnte nach Amerika emigrieren und sich als Jurist an amerikanischen Hochschulen behaupten. Als er dem Vater Ende November 1938, nach der Pogromnacht, das Affidavit für die Einreise nach Amerika schickte, war es bereits zu spät. Ludwig Fulda war der Paß schon abgenommen worden. Um nicht de­portiert zu werden und um das Leben seiner Frau zu erleichtern, beging er Selbst­mord. Tragödie der Assimilation wie z. B. auch bei Max und Helene Herrmann!

Welche Probleme wirft die Einführung auf? Bewußt gemacht werden die Unsicher­heiten der bürgerlichen deutschen Literaturwissenschaft bei Bewertung des Lust­spiels und des Gebrauchsstückes. Die Herausgeber sind der sicherlich richtigen Mei­nung, daß ein Autor wie Ludwig Fulda in Frankreichhöher und dauerhafter ge­schätzt" (S. XIV) wird. Sie verweisen am Beispiel der Korrespondenz zwischen Fulda und Heyse auf die Rolle und Bedeutung der privaten brieflichen Literaturkritik unter Kollegen in der Zeit vor 1914.

Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage nach Fuldas Verhältnis zur Moderne. Ei­nerseits steht er dem Naturalismus, Ibsen und Gerhart Hauptmann und später Arthur Schnitzler nahe, zum anderen fühlt er sich Paul Heyse und Hermann Sudermann eng verbunden. Zur Klärung dieses Problems hätte m. E. Fuldas EssaysAus der Werk­statt" (1904) stärker herangezogen werden können. In seiner StudieÜber den Wert der Beobachtung in der Poesie" aus dem Jahre 1884 verinnerlicht er die Begriffe des Erlebnisses und der Beobachtung. Hauptgegenstand dichterischer Beobachtung sind für ihn Seelenleben und Leidenschaften, also nicht das Soziale. Am Beginn des Auf­satzes überMoral und Kunst" wendet er sich gegen moderne synthetisierende, gat- tungs- und genreüberschreitende Tendenzen:Will man ein Gemälde loben, so nennt man es poetisch; will man die Wirkungen eines Dramas preisen, so findet man sie malerisch; man redet unschuldigen Gemüts von der Plastik des Rhythmus und vom Rhythmus der Plastik . . ," 5 Mit parodistischer Zusitzung erweist sich Fulda hier als strenger Aristoteliker. So war er offenbar auch ein mehr allgemeinmenschlicher denn ein sozialer Mitverfechter der Freien Bühne.

Fontane gehörte nicht zu den wesentlichsten Briefpartnern Fuldas, was auch an der nur kurzen Überschneidung der Lebenszeiten liegt. Der bei weitem wichtigste pri­vate Korrespondenzpartner Fuldas ist Paul Heyse, der auch im Herbst 1889 die Be­kanntschaft mit Fontane vermittelt. Weitere wesentliche Briefpartner waren Georg Brandes, Hermann Sudermann, Bertha von Suttner, Arthur Schnitzler, Oskar Loerke, die Philosophen Georg Simmel und Hans Vaihinger. Es finden sich auch Schreiben verschiedener Politiker, so von Friedrich Ebert, Gustav Stresemann und ein Geburts­tagsgruß des Reichspräsidenten von Hindenburg.

In den 20er Jahren nimmt die Korrespondenz in wachsendem Maße offiziellen, öffentlichen Chrakter an. Als Vizepräsident der Sektion für Dichtkunst der Preu­ßischen Akademie der Künste erhielt erBettelbriefe" notleidender Schriftsteller, z. B. von Max Halbe. Elisabeth Förster-Nietzsche bat ihn z. B. im Interesse des Nietz­sche-Archivs um Unterstützung für eine Verlängerung der 30jährigen, Autorenschutz­frist. Nachdem der 70. Geburtstag des Schriftstellers noch einmal ein Anschwellen der Briefe an ihn gebracht hatte, bricht nach dem 30. 1.1933 teils aus Isolierung des von den Nazis Verfemten, teils infolge von Selbstvernichtung von Materialien durch

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