In Fontanes Aufsatz über „Die Märker und die Berliner .. ." heißt es, Berlin sei früher eine märkische Stadt gewesen, doch nun erobere das Berlinertum die Mark und werde die Märker früher oder später zu Berlinern machen. Dazu merkt Günter de Bruyn mit Recht an, diese Entwicklung habe sich im 20. Jahrhundert fortgesetzt, fügt jedoch hinzu: „... was unter anderem auch daran zu erkennen ist, daß die märkischen Dialekte so gut wie ausgestorben sind: die Märker berlinern heute." (S. 351) Diese Verallgemeinerung ist nicht zutreffend. Gewiß sind die Dialekte zurückgegangen, aber in den von Berlin etwas weiter entfernten Gebieten wie Oderbruch, Uckermark, Prignitz, Fläming durchaus noch lebendig.
Günter de Bruyn weist auf einen anderen, bisher wenig beachteten Aspekt der „Wanderungen" hin: die Einbeziehung fiktiver Elemente. Schon in Heft44 (1987) der „Fontane-Blätter", S. 603, erwähnte er die kunstvolle Gestaltung der „Osterfahrt in das Land Beeskow-Storköw", denn seine Nachforschungen hatten ergeben, daß es sich nicht um eine den tatsächlichen Begebenheiten genau entsprechende Reportage handelt, sondern daß Fontane manches erfunden und manches weggelassen, Wahrheit und Dichtung also um der Wirkung willen gemischt hat. Der Herausgeber hält zum Beispiel den Emeritus (Pfarrer im Ruhestand) in Pieskow „mit aller gebotenen Vorsicht" für eine erfundene Person, da „sich ein Geistlicher mit dieser abenteuerlichen Biographie nicht nachweisen läßt". (S. 331) Was die hübsche Geschichte „Der Fischer von Kahniswall" betrifft, die Fontane auf der Segelfahrt von Köpenick nach Teupitz erzählt, kann sich nach Günter de Bruyn anderswo etwas Ähnliches ereignet haben, doch findet sich in Kirchenbüchern, Urkunden, Akten usw. hierfür kein Nachweis eines Fischers namens Ka(h)nis auf der angeblich nach ihm benannten Insel, die Fontane zudem im östlichen Teil des Seddinsees lokalisiert, zwischen Müggelheim und Gosen, während die Siedlung Kaniswall (heute aus Wochenendhäusern bestehend) reichlich einen Kilometer vom Seddinsee entfernt auf einer kleinen Anhöhe inmitten der weiten Spreewiesen zwischen Erkner und Neu Zittau liegt.
Hinzugefügt sei, daß Fontane wohl auch die Namen der Besatzungsmitglieder der „Sphinx" erfunden hat. Diese Personen gehörten dem 1867 gegründeten Berliner Seglerklub an, dessen Geschichte bereits genauer erforscht wurde. Ein Kapitän Backhusen ist in diesem Zusammenhang bisher nicht bekannt geworden, ebensowenig der hier als „Supercargo" fungierende Herr Nettermann. Dieser war vermutlich ganz einfach ein „netter Mann", weshalb sein Name so liebenswürdig verschlüsselt wurde.
Abschließend wird nachdrücklich begrüßt, daß Fontane mit dieser wohlgelungenen und ausführlich kommentierten Auswahl nunmehr seinen verdienten Platz im „Märkischen Dichtergarten" einnimmt, wobei dem Herausgeber Günter de Bruyn für die Wiedergabe der Erstdrucke von „Wanderungs"-Kapiteln mit der ihnen innewohnenden Frische und Spontanität sehr zu danken ist.
Schließlich noch ein Wort zur Gestaltung der handlichen Ganzleinenbände der Reihe. Papier und Druck sind bemerkenswert gut. Einband, Vor- uhd Nachsatz und Schutzumschlag farblich stets sorgfältig aufeinander abgestimmt, historisierende Schmuckelemente werden dezent und doch wirkungsvoll eingesetzt. Diese gleichbleibende Qualität verdient Anerkennung, und Anerkennung verdient nicht zuletzt, daß die Bücher mit ihrer bibliophile Ansprüche erfüllenden Ausstattung für breite Leserkreise erschwinglich sind.
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