Theodor Fontane. Briefe an den Verleger Rudolf von Decker. Mit sämtlichen Briefen an den Illustrator Ludwig Burger und zahlreichen weiteren Dokumenten. Herausgegeben von Walter Hettche. — Heidelberg: R. v. Decker's Verlag, G. Schenck 1988. 309 S.
(Rez. Christian Grawe, Melbourne)
Ein aussagekräftiger, gelungener Buchumschlag: Die fotografischen Porträts der beiden Korrespondenten im Oval (das Fontanesche offenbar seitenverkehrt nach der in H. Nürnberger Ausgabe von Fontanes Briefen an Hermann Kletke zuerst veröffentlichten Aufnahme) sprechen Bände: der eine, der arme literarische Schlucker und der andere, der erfolgreiche, geadelte Verleger; der eine mit ungepflegtem, weit über die Ohren stehendem Haar, der andere mit wohlfrisiertem, sorgfältig geschnittenem Kopf; der eine mit schmaler Schleife und kahler weißer Hemdbrust ohne Schmuck im schlichten Anzug, unelegant und kleinbürgerlich, der andere mit locker geschlungenem Seidentuch und diamantener Krawattennadel im gutsitzenden Rock; der eine mit hängendem Oberlippenbart und unregelmäßigen Favoris, der andere glattrasiert und frisch; der eine mit hoher Stirn und weichem, ungewissem Blick, der andere mit geradem Blick, festem Mund und energischem Kinn. Wenn der Betrachter über dieses geschickte Bilderarrangement nachzudenken beginnt, dann weiß er bei Fontane: „Ach, kein Sieger trat da auf ihn zu."
Was die Bilder suggerieren, bestätigt der Inhalt des Buches. Er erschließt der Forschung und den Interessenten Fontanes Briefe an den Verleger Rudolf von Decker, der die drei Kriegsbücher des Autors und seine Erlebnisse in Frankreich 1870 und 1871 Kriegsgefangen und aus den Tagen der Okkupation) veröffentlichte. Bisher nur teilweise und zum Teil in fehlerhafter Form bekannt, sind diese Briefe, ergänzt um die Schreiben an Verlagsangestellte und an den Illustrator Ludwig Burger und um die zeitgenössischen Rezensionen der Kriegsbücher, eine weitere wichtige Quelle zum Verständnis von Fontanes literarischem Alltag; Immerhin handelt es sich bei 31 der 163 Briefe um Erstdrucke. Der Editionshinweis des Herausgebers bestätigt das gewohnte Bild: Fontanes Briefwerk ist weit verstreut, zum Teil verschollen und, soweit überhaupt erschienen, häufig entstellt worden. Auch der lapidare Satz, „Antwortbriefe Deckers und Burgers sind nicht erhalten" (S. 268), trifft den Leser keineswegs unerwartet. Einiges, was zu Fontanes Lebzeiten nicht schon verschwunden war, hat Emilie Fontane nach dem Tod ihres Mannes verbrannt.
Die Publikation dieser Briefe gehört in zwei Zusammenhänge. Zum einen ergänzen sie die Reihe der Korrespondenzen mit Fontanes Verlegern und Herausgebern. Ihr gesellt sich nach den Briefen an Hermann Kletke (ed. H. Nürnberger, 1969), an Julius Rodenberg (ed. H.-H. Reuter, 1969) und an Wilhelm und Hans Hertz (ed. K. Schreinert und G. Hay, 1972) nun eine vierte Sammlung bei. Zum anderen aber bildet der neue Band auch einen Zusammenhang mit der Serie von Korrespondenzen, die den sogenannten „mittleren Fontane" in den Jahrzehnten vor dem Erscheinen des ersten Romans, Vor dem Sturm (1878), erschließen. Hier sind aus der jüngeren Fontaneforschung vor allem drei Sammlungen zu erwähnen, mit denen Hettches Band nun einen thematischen Komplex bildet: die Briefe an Mathilde von Rohr (ed. K. Schreinert und Ch. Jolles, 1969), der Briefwechsel mit Theodor Storm (ed. J. Steiner, 1981) und die beiden schönen Bände Die Fontanes und die Merckels (ed. G. Erler, 1987). Man sieht, das- Bild beginnt sich zu runden.
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