Heft 
(2023) 115
Seite
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Theodor Wolff über Theodor Fontane  Rasch 13 Wolff; in den Band haben sich nach seinem Dafürhalten auch einige zu »harmlose« eingeschlichen(»Zu viel Harmlosigkeit ermüdet«). Und so wünscht er sich,»daß das neue Werk Theodor Fontanes denn er ist uner­müdlich an der Arbeit nicht zu den ›Plaudereien und kleinen Geschichten‹ gehören, sondern in direkter Linie von der berlinischen Bourgeoise Frau Jenny Treibel abstammen möge.« Das»neue Werk« Fontanes war der Ro­man Effi Briest , der im Oktober 1895 als Buch herauskam. Wolff lebte zu diesem Zeitpunkt schon als Korrespondent in Paris und Fritz Mauthner übernahm im Tageblatt die weitere Berichterstattung über Fontane. Als Chefredakteur und Leitartikler der Zeitung hat Wolff noch zweimal ausführlich über Fontane geschrieben: 1910 anlässlich der Enthüllung des Fontane -Denkmals im Berliner Tiergarten 25 und 1919 zum 100. Geburtstag des Autors. 26 Hier schließt sich ein Kreis, der 1889 zum 70. begonnen hatte. Die einst überschwänglich-euphorische Stimmung des Gratulanten im Jah­re 1889 ist dreißig Jahre später, nach den Erfahrungen von Militarismus, Aufrüstung, Krieg und Zerstörung ernsten und nachdenklichen Tönen ge­wichen. Als Lyriker und Erzähler genießt Fontane allgemein hohes Anse­hen, sein Werk ist lebendig geblieben. Für Wolff steht er immer noch in der vorderen Reihe der Gegenwartsliteratur. Mit einer Anspielung auf das Ge­dicht Adlig Begräbnis, 27 das er zur Freude Fontanes schon im Geburtstags­artikel 1889 zitiert hatte, hält er fest: Die roten Berberitzen leuchten noch wie einst, wenn auch die Rohrs und die Ribbecks nicht mehr die gleiche Rolle im Lande spielen, und aus der registrierenden Sachlichkeit dieser Gedichte kommt wärmeres Licht als aus aller Verspathetik und aus den meisten Produkten einer scheinbar weltstürmenden und in Wahrheit schulfromm einherziehenden Gegen­wartspoesie. Wir haben keinen Roman, der zugleich das Berlinische und das Allgemein-Menschliche saftvoller hervorbrächte als»Frau ­Jenny Treibel«, nirgends sind in der Sprache soviel Natur und soviel Geist ver­einigt wie in jeder seiner Erzählungen, und nirgends ist mit leichterer Geste und mit weniger Geräusch das Fließende und Rinnende einer Menschenseele zur Form gerundet worden als in»Effi Briest «. Doch was wird von Fontane nach dem Ende der wilhelminischen Ära im öffentlichen Leben bleiben, was hat er nach dem republikanischen Neube­ginn der Gesellschaft noch zu sagen? Spekulationen über»die naheliegende Frage, wie er in den Ereignissen der letzten Jahre mitgetan haben, und wie er seinen Platz im heutigen Staate finden würde«, fertigt Wolff kurz ab:»Wer ihn kannte, wird sich in diesem Punkte vor kühnen Schlüssen hüten und läßt gern das Fragezeichen stehen.« Unstrittig ist für ihn jedoch Fontanes tiefe Abneigung gegen das Pathos, gegen die grandiose Gebärde, gegen die Phrase, gegen die unechte Gefühlssauce, gegen die Geschwollenheit. [] Dieser Ehrliche sah, daß nichts so verseuchend, so verdummend auf