40 Fontane Blätter 115 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes erschien. 22 Fontane bedankte sich trotz der Unruhe der Festvorbereitungen unverzüglich am folgenden Tag. Wolff hatte ihn als realistischen Schriftsteller gewürdigt, was er mit»Wirklichkeitssinn« umschrieb, um den verehrten Dichter vom»wild daherfahrenden Naturalismus« 23 zu distanzieren. Aus seiner Kritik an Fontanes Parteinahme für den Naturalismus machte Wolff keinen Hehl. Fontane habe ihm auf seine Frage nach den Ursachen dieser Haltung geantwortet: Die Stürmer und Dränger waren immer nöthig, wenn etwas Neues aufkommen sollte. Wir haben lange Zeit tief drin gesteckt in der blutlosen Poesie der Schillerschen Nachbeter. Dagegen ist der Naturalismus als Sturm und Drang nöthig. Eine Kampfesstimmung muß den Boden vorbereiten und das Interesse wecken, damit das Publikum aufmerksam wird auf die neue Richtung. 24 Das hielt Wolff für einen Irrtum. Während die Buchhändler mit Vor Sonnenaufgang ein glänzendes Geschäft gemacht hätten, sei von Irrungen, Wirrungen, dem»besten neueren deutschen Roman«, 25 noch nicht einmal die erste Auflage verkauft. Auf diese Weise drohe die»stille, lärmfremde Stimme des echtesten Künstlers« in dem»tobenden Geschrei der Gassenpropheten« verloren zu gehen. 26 Eigentümlich mutet an, dass Fontane sein Dankesschreiben aus Fredrichs Hôtel datiert. Sollte der Jubilar am Tag vor seinem Geburtstag wegen der aufwendigen Vorbereitungen vorübergehend geflüchtet oder gar ausquartiert worden sein? Dass er einen gewöhnlichen Besuch in der Weinstube zum Briefeschreiben nutzte, ist kaum vorstellbar. Leider wird die Schreibsituation im Brieftext nicht thematisiert. Im Haushaltsbuch der Familie findet sich unter dem 31. Dezember 1891 der Eintrag»Fredrichs Hôtel (Trinkgeld u. Rechnung) 50.[Mark]«. 27 Der Zahlungsgrund ist nicht ersichtlich. Die Zimmerpreise lagen 1891 bei 1,50 bis 6 Mark. 28 [3. – 4.] Am 28. April 1890 reagierte Fontane mit einigen um Verständnis werbenden Zeilen auf kritische Beobachtungen des jungen Journalisten zu Irrungen, Wirrungen und Stine. Dies ist der Brief, den Wolff in seinem Schreiben vom 24. April 1908 an Friedrich Fontane als besonders interessant hervorhob. Erneut fällt auf, dass Wolff seine Beiträge gründlich vorbereitete. Seine Rezension zu Stine erschien in der Abend-Ausgabe des Berliner Tageblatts vom 20. Mai 1890. Sie trägt den Titel Realistische Romantik, 29 wodurch Wolff an den Beginn des Briefwechsels anknüpft und seine Besprechung zugleich als Beitrag zu einer generellen literaturtheoretischen Fragestellung ausweist. Er sah in Fontanes Stine den Sieg des Poetischen und Romantischen über das Realistische und versuchte erneut, Fontane gegen den Naturalismus abzugrenzen. Im Zentrum seiner Rezension steht ein Zitat aus Fontanes Brief vom 4. Oktober 1889.
Heft  
(2023) 115
Seite
40
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