Heft 
(2023) 115
Seite
50
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50 Fontane Blätter 115 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte 1874 geborene Bertha. Eine aus ihrem Geburtsjahr datierende Lithogra­phie zeigt»Trebeins Mill« als blühendes Unternehmen mit eigenem Eisen­bahnanschluss, um das dort gemahlene Mehl nach Philadelphia und New York zu transportieren. 5 Selbst für wohlhabende Familien wie die Trebeins verrät die Sorgfalt, mit der sie die Ausbildung ihrer beiden Töchter gefördert haben, eine für damalige Zeiten außergewöhnliche Aufgeschlossenheit. Die Absolvierung der öffentlichen»Grade School«(Volksschule) von Beavercreek, der Bertha Trebein 1953 einen kleinen Gedenkartikel gewidmet hat 6 , genügte ihnen nicht. Um sie auf ein Studium vorzubereiten, war schon ihre ältere Schwes­ter Elizabeth anschließend auf verschiedene Privatschulen in der näheren Umgebung geschickt worden. 7 Zwar kannten Ende des 19. Jahrhunderts weder Deutschland noch die USA eine generelle Zulassung von entspre­chend vorgebildeten Frauen zu staatlichen Universitäten. Wohl aber gab es in Amerika eine Reihe von privaten Frauenhochschulen, und eine der ältes­ten damals aber noch jungen, nämlich 1875 eröffneten ist das bis heute hoch angesehene Wellesley College in der Nähe von Boston/Massachusetts. Zu seinen prominenten Absolventinnen aus jüngerer Zeit gehören zwei spätere Außenministerinnen der Vereinigten Staaten, nämlich Madeleine Albright(amtierte 1997 bis 2001) und Hillary Clinton(amtierte 2009 bis 2013), die zuvor schon First Lady gewesen war(von 1993 bis 2001) und 2016 als demokratische Präsidentschaftskandidatin gegen Donald Trump unter­liegen sollte. An solche Karrieren war freilich noch nicht zu denken, als die Trebein-Töchter Wellesley College bezogen. Typisch war vielmehr der Le­bensweg der älteren Schwester. Ein Jahr, nachdem sie ihr Studium 1893 mit dem BA abgeschlossen hatte und in ihr Elternhaus nach Beavercreek ­zurückgekehrt war, heiratete Elizabeth Trebein den Geschäftsmann Patrick Flynn und brachte in der Folge neun Kinder zur Welt. 8 Noch als Studentin hatte sie 1891 ihre jüngere Schwester Bertha mit auf die 1300 km lange Reise von Ohio nach Massachusetts genommen, damit diese sich in der an Wellesley College angeschlossenen Dana Hall School auf die anspruchsvolle Aufnahmeprüfung vorbereiten konnte. Geprüft wurden Kenntnisse in Englisch, Geographie, Geschichte und Mathematik sowie in Latein und Griechisch, dazu wahlweise Französisch oder Deutsch(Gram­matik, mündlicher und schriftlicher Ausdruck sowie ausgewählte Lektü­ren). Wie viel Deutsch die Neunzehnjährige tatsächlich schon beherrschte, als sie 1893 schließlich ihr Studium aufnehmen konnte, ist ungewiss, des­gleichen, welche Lehrveranstaltungen sie während ihres vierjährigen BA­Studiums belegte, das, wie in Amerika üblich, eher allgemeinbildender als fachwissenschaftlicher Natur war. Ob Fontane in den Überblickskursen zur neueren Literaturgeschichte vorkam, lässt sich nicht mehr feststellen; im Syllabus aufgeführt waren»German Prose: Historical and Other Novels« sowie»Nineteenth Century Authors« aus den Bereichen Lyrik und Drama.