Heft 
(2023) 115
Seite
87
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Allerlei Glück Wege 87 Zum Fragment Allerlei Glück Bei Allerlei Glück handelt es sich insofern um ein in vielerlei Hinsicht proto­typisches Exemplar der Textsorte Fragment, als die einzelnen Aufzeich­nungen hinsichtlich Umfang und Stand der Ausarbeitung insgesamt weit über eine bloße Skizze hinausgehen. Dennoch ergeben die»zahlreiche[n] Figuren-, Situations- und Dialogentwürfe«, aus denen sich das Projekt zu­sammensetzt,»kein durchgehendes Narrativ«, und auch eine»Chronologie der Handlung[ist] nur teilweise erkennbar«(F II, 67). Allenfalls lässt sich ein übergeordnetes Thema ausmachen: Die Suche nach dem Glück und die verschiedenen Formen eines glücklichen Lebens, veranschaulicht an den Lebens- und Liebesweisen verschiedener Figuren(Einzelpersonen, Paare, Familien), die überwiegend in einem verzweigten verwandtschaftlichen Verhältnis zueinander stehen. Schopenhauers Willensphilosophie ist von der Forschung mehrfach als relevanter Kontext für das Glücksthema in Erwägung gezogen worden, je­doch ohne ins Detail zu gehen. 4 Exemplarisch sei an dieser Stelle lediglich aus der frühen Edition von Julius Petersen(1929) zitiert; Petersen charakte­risiert das Projekt einerseits als stark autobiographisch geprägt, aber im Kern eben zugleich als philosophischen»Ideenroman«: Die Anlage zum Ideenroman war in den Richtungen gegeben, in denen die Weltanschauungen der Hauptpersonen auseinander gehen sollten. Sie waren nicht nur durch verschiedene Lebensziele, wie klösterliche Weltflucht oder besinnungsloses Genießertum, sondern auch durch phi­losophische Systeme, wie Schopenhauerianismus, Kantianismus, Dar­winismus, charakterisiert. Und daß bei einem Vertreter des deutschen Idealismus bereits vorgemerkt war, er halte Locke für einen rohen Empi­riker, scheint darauf hinzuweisen, daß ursprünglich philosophische Auseinandersetzungen in Gesprächen eines geistig hochstehenden Krei­ses, etwa im Salon der Frau v. Werthern, der Nachbildung des Wangen­heimschen Hauses, ins Auge gefaßt war. 5 Philosophischer Roman trifft es besser als Ideenroman, denn es wird sich zeigen, dass Kantianismus und Darwinismus in Allerlei Glück vom Schopen­hauerianismus kaum zu trennen sind, und auch der Gegensatz zwischen klösterlicher Weltflucht und weltlichem»Genießertum«(s. o.) ist ein zentra­les Thema der Willensphilosophie Arthur Schopenhauers. Im Hause der katholischen Frau von Wangenheim fanden die Schopenhauer-Leseabende statt; und die Willensphilosophie ist ohne Kant gar nicht denkbar. Petersens­Einschätzung macht den Stellenwert der schopenhauerschen Philosophie für die Anlage von Allerlei Glück deutlich. Bedenkt man, dass im Fragment keine anderen metanarrativen Hinweise auf Philosophen, Theorien, Dis­kurse zum Thema Glück vorkommen, welche in eine alternative program-