Heft 
(2023) 115
Seite
92
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92 Fontane Blätter 115 Dossier: Fontanes Fragmente. Fortsetzung Sieht man sich die Ratschläge, ja Lebensweisheiten des Onkels genauer an, finden sich weitere sinngemäße Parallelen zu Schopenhauers Auffassung von Glück. Im folgenden Entwurf variiert Onkel Wilhelm, an Karlmann ge­richtet, das Merkmal der Passgenauigkeit zwischen Sein und gewähltem Lebensentwurf(»rechte Stelle«); zudem wird auf das Innere als entschei­dende Disposition, in Abgrenzung von äußerlichen Faktoren(Gesellschaft, Umwelt) hingewiesen: Es ist ganz gleich, wo man im Leben steht, nur voll und ganz und freudig muß man an seiner Stelle stehn. Die Stelle selbst ist gleichgültig. Daß man die rechte Stelle trifft, darauf kommt es an. Die rechte Stelle ist al­lemal auch­ die gute. Was ist Glück. Es giebt allerlei Glück. Hundert und tausendfältiges. Es heißt nicht: wenn Du das und das Äußerliche erreichst, bist Du glücklich; nein ein Innerliches muß man erreichen, da liegt das| Glück. Es braucht nicht einmal immer mit der Moral zu stim­men; freilich darf es sich auch nicht zu sehr in Gegensatz dazu stellen. ( Diese wichtige Stelle wichtig wegen Axel ist sehr scharf zu präcizi­ren.)(F I, 172) 21 In einem Brief an Karpeles formuliert Fontane die Kernkonzeption des Ro­mans ähnlich, erneut mit Verweis darauf, dass die»Natur«, das heißt letzt­lich das Innere des Menschen, zur gewählten»Stelle« also zur Lebenswei­se, dem sozialen Stand und Ähnliches passen muss:»Tendenz:[] es giebt vielerlei Glück, und wo dem Einen Disteln blühn, blühn dem Andern Rosen. Das Glück besteht darin, daß man da steht, wo man seiner Natur nach hin­gehört; selbst die Tugend- und Moralfrage verblaßt daneben. Dies wird an einer Fülle von Erscheinungen durchgeführt«. 22 Glück in Effi Briest Ein willensphilosophisch konnotierter Glücksdiskurs lässt sich auch in Effi Briest vermuten:»Und bist du schon ganz glücklich?«, fragt eine Freundin kurz nachdem sich Effi mit Innstetten verlobt hat, und Effi erwidert:»Wenn man zwei Stunden verlobt ist, ist man immer ganz glücklich. Wenigstens denk ich es mir so.« 23 Ein Glück mit Innstetten existiert zu diesem Zeitpunkt somit ausschließlich als abstrakte Vorstellung im Kopf des unerfahrenen Mädchens, die sich aber als Irrtum erweist. Wie im Fragment wird im auch im Roman als Grundbedingung von Glück eine mutmaßlich schopenhauer­sche Passgenauigkeit ausgegeben. Effi:»Man muß doch immer dahin pas­sen, wohin man nunmal gestellt ist.[] Die Mama, ja, die hätte hierher ge­passt«. 24 Dies bestätigt auch der Vater nahezu wortgleich an seine Frau gewandt:»Überhaupt hättest Du besser zu Innstetten gepasst als Effi«. 25 Lu­ise Briest wäre in Kessin glücklich geworden, nicht aber Effi, ihrem wilden Inneren, ihrem Sein nach, dem, was sie zum»natürlichen Menschen«