94 Fontane Blätter 115 Dossier: Fontanes Fragmente. Fortsetzung Katholizismus als Weg zum Glück. Schopenhauers Deutung des Christentums als Lehre von der Erlösung vom Willen Der Verdacht auf einen philosophischen Einschlag der Glücksthematik verdichtet sich indirekt auch dadurch, dass der Name Schopenhauer in Zusammenhang mit der Katholizismus-Thematik im Fragment mehrfach genannt wird. Eindeutig plante Fontane, die»katholische Frage«(F I, 109), das heißt den im protestantischen Berlin als ›abweichend‹ geltenden Katholizismus als legitimem Weg zum Glück zu einem eigenständigen Themenkomplex auszubauen und am Beispiel mehrerer Figuren durchzuspielen. Die Gastgeberin der Schopenhauer-Leseabende, die mit einem Protestanten verheiratete Katholikin Marie von Wangenheim, notiert Fontane als Vorbild für weibliche katholische Figuren. Bei Wangenheims lernte Fontane den protestantischen Hofprediger Karl Windel kennen, der wiederum für mehrere fiktive Hofprediger-Figuren(mit wechselnden Namen) Pate stehen sollte (hierzu gleich ausführlich). Belegt ist, dass Windel gleichzeitig Sympathien für den Katholizismus wie für den Schopenhauerianismus hegte, und einige Indizien im Fragment sprechen dafür, dass er sich mit Schopenhauers religionsphilosophischen und psychologischen Betrachtungen und dessen sympathisierender Haltung zum Katholizismus sehr gut auskannte. 30 Zu den Details: In mehreren Figurenskizzen zu Allerlei Glück werden stichwortartig katholische settings, Figurentypen und Figurengruppen aufgeführt, beispielsweise:»1. Die katholische Welt. Das Kloster als Ziel.« (F I, 104) Einige Figuren konvertieren zum Katholizismus beziehungsweise treten ins Kloster ein:»II. Geheimräthin Woltersdorf nebst Tochter( Frau v.W. und Ida). Hierzu gehört der 2. Held, der Sohn des Geistlichen[…] der später Mönch wird. Hierher Hofprediger Suffragan. Hierher ein Heiligen Maler.« 31 Auf einer anderen Liste vermerkt Fontane: Fünftens: Gräfin Einsiedl, Wittwe. Comtesse Ida[…] ihre Tochter. Die junge Kettenburg. Die katholische rsp. klösterliche Episode. Sechster: Consistorialrath Suffragan. Noch jung. Ehemaliger Prinzen= Erzieher an einem kl: thüring. Hof. Lebemann. Abbé. Partiell orthodox und partiell Schopenhauerianer. ⌐ Der Pessimismus ist das dem Christentum und dem Schopenhauerianismus Gemeinsame. Aber das eine sagt:»daraus erlöse ich euch«; der andre sagt:»es ist vorbei.« Da beginnt der Unterschied. Aber in Bezug auf die Dinge dieser Welt und ihre Erkenntniß, vertragen sich beide. (F I, 104–105) Ähnlich konzipiert Fontane einen Hofprediger namens Verulam(möglich auch, dass Suffragan in dieser Variante Verulam heißt):»Voll Spott gegen den Rationalismus, aber selber nicht orthodox. Kennt nur zwei Standpunkte: den katholischen und den Schopenhauerschen.«(F I, 105) Ähnlich auch Hofprediger Cyprian:»War an einem kl. thür. Hofe. Rationalist. Schopenhauerianer.
Heft  
(2023) 115
Seite
94
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