118 Fontane Blätter 115 Dossier: Fontanes Fragmente. Fortsetzung Barons hin zu einem»Confusionarius«(F I, 203, 226) legt Fontane dem Grafen Attinghaus in den Mund: Er war eigentlich ein reizender Kerl, ein Mensch wie ein Kind.[…] Und was ist nun draus geworden. Bis 48 ging es, aber als nun die Böcke und Schafe geschieden wurden, da mußte er ganz auf die letztre Seite treten und der Storch ent=(verte)|stand, den Sie jetzt sehn: ein Confusionarius. Eigentlich ist er nichts als ein guter Kerl,[…] ein märkischer Junker von der Durchschnitts Sorte wie er im Buche steht, und dieser Unglückselige, der als Landedelmann und Mann der kleinen Liebhabereien ein entzückender Kerl sein würde, muß nun den Staatsmann und den Staats= und Gesellschafts=Retter spielen.(F I, 203) Dieser Redeeinsatz des Grafen ist deshalb bemerkenswert, weil Fontane die Genese der»Confusion« von einem Standesgenossen des Storchen erklären, oder besser: deuten lässt. Die Entscheidung für Attinghaus als Interpret ist mit der Einschränkung ausgestattet, dass selbst dieser liberale Adelige nur über einen begrenzten Durchblick verfügt und die konkreten ökonomischen Herausforderungen nicht benennen kann, um stattdessen über»Moden« zu schwadronieren: [Der Baron] hätte vor 100 Jahren mit einer lebenslustigen Frau am[…] Hofe glücklich gelebt und wär in die Kirche gegangen und hätte nichts geglaubt. Und seine Dörfler etc. hätt er glücklich gemacht und Gutes für sie gethan. Er ist ein Opfer der ⌐ modischen Geschraubtheiten unsrer Zeit, die Dinge will oder wenigstens wollte, die man nicht wollen soll oder die nur immer der soll, der innerlich darauf eingerichtet ist. Ich habe nichts gegen all dergleichen, ich will es sogar hochstellen, aber es muß nicht sein. So wie es Mode wird, wird es furchtbar. oder Und an dieser Mode, zu der Ihr Papa nicht taugte. ist er zu Grunde gegangen.(F I, 202) Es finden sich einige Faktoren angedeutet, ohne dass die spezifische mentale Konstitution des Barons, seine biographische Entwicklung und entscheidende Umwelteinflüsse, präzise benannt werden. Die Baronin, eine geborene Gräfin Trebia von Trebiatinski und, wie schon festgestellt, ›sehr standesbewusst‹, 24 hat einen gewichtigen Einfluss. Ferner soll es eine Zäsur um das Datum 1848 gegeben haben – wohl kaum zufällig das Jahr der bürgerlichen Revolution. Dürfen wir Attinghaus so verstehen, dass der Baron durch die gescheiterte Revolution, die dennoch Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft angestoßen hat, zum»Schafe« wurde? Dass ihn dieses bürgerliche ›Weltgericht‹ in seine(neue) Rolle im Staat eingewiesen habe? So sieht es jedenfalls auch der»alte Kürassirmajor« in seinem, als Nachruf angelegten Bericht über den Baron: Eine confuse Natur, ein Halber, Wirrer, ist weniger in der Welt: Storch ist todt: Er war eigentlich ein guter Kerl und in vielem Betrachte gar nicht übel. Er, aber die zweite Hälfte seines Lebens – war ein verfehltes in seiner Jugend war er ein flotter, netter Kerl gewesen – war verfehlt.
Heft
(2023) 115
Seite
118
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