Heft 
(2023) 115
Seite
120
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120 Fontane Blätter 115 Dossier: Fontanes Fragmente. Fortsetzung Familie, andrerseits unter dem Einfluß der liebenswürdigen jüdischen Schwiegertochter, die er liebt. Er sucht zwischen beiden zu vermitteln und schreibt immer, wobei ihm der Pastor helfen muß,­ Vermittlungs-Brochüren. Darüber wird er zuletzt verrückt und stirbt.(F I, 226) Im Finale soll der alte Baron verrückt werden und sterben, nachdem es ihm nicht gelungen ist, zwischen seinen beiden Anschauungen, Liebe und Vor­behalten,»zu vermitteln«. Er versucht es, schreibt seine Gedanken nieder, sucht Hilfe beim Pastor, scheitert aber dennoch. Fontane hat dieses Prob­lem noch ein drittes Mal zu konzeptualisieren versucht; erneut wird betont, was das»imbecile«, die auf Schwachsinn gründende»Confusion« kenn­zeichnet: Zum Schluß muß es darauf hinauslaufen, daß der alte gute Kerl in eine Art von imbeciler Confusion verfällt, so daß er in einer einzigen Viertel­stunde drei verschiedne Dinge thut oder Beschlüsse faßt: eines stock=conservativ, das zweite jüdisch=aufgeklärt in Rücksicht auf die Schwiegertochter, die er gern hat.­ und keck freisinnig, und dann wie­der rationalistische Mittelpartei. Daran geht er denn zu Grunde, bis ein Schlaganfall ihn erst halb, dann ganz erlöst. Seine Frau bleibt stock=reaktionair und rückt ihn immer wieder zurecht, aber doch auch klug und unter Nie=Preisgebung nächster Vortheile. Diese beständige Controlle der Gnädigen ruinirt ihn völlig. ist schon todt.­(F I, 226) Der Baron unterliegt den Einflüssen verschiedener politischer und ideolo­gischer Strömungen, und zwar jeweils, in der Diktion der Zeit, radikalisiert, nämlich»stock«-konservativ,»keck«-freisinnig und»jüdisch«-aufgeklärt. Mit einem weiteren Konzeptentwurf soll die Analyse beschlossen wer­den. Die jüdische Schwiegertochter wird nur an dieser Stelle andeutungs­weise skizziert. In ihrer ›Physiognomie‹ soll sie»prononcirt jüdisch«, mithin ungeachtet von Taufe und möglicher Lebensführung unbedingt als so verstanden jüdisch identifizierbar sein. Eine solche Figurenzeichnung hätte ›textintern‹ den Vorurteilen der Baronin Vorschub geleistet, weil das ›Jüdisch-sein‹ durch die Oberfläche(dem»Profil«) der Schwiegertochter zu einem Faktum geworden wäre. Ihr ›Innenleben‹ bleibt, mit der Ausnahme einer ironischen Selbstwahrnehmung(»Sie wußte das auch und scherzte darüber«), unbestimmt. Die Deutung der»Judenwelt« bleibt indes in der Hand nicht-jüdischer und mit Aversionen(bis zum Hass) ausgestatteter Charaktere. In diesem Konzeptentwurf wird einmal mehr bestätigt, sodass es fast schon als objektiver Tatbestand in der Textwelt gelten kann, dass durch die»Mittel der Judenwelt«»alles[] anders, besser« geworden war. »[E]s war kein Zweifel«, so hätte es der Erzähler konstatiert, um die unauf­hebbare Ambivalenz des Barons erneut zu bestätigen: