Heft 
(2023) 116
Seite
58
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58 Fontane Blätter 116 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Identität dar, ondern übergeht oder umschreibt sie. Zum Beispiel sind die »zwei Artilleristen vom Regiment ›Feldzeugmeister‹«(F 12), die Fontane im 1. Kapitel in die abenteuerliche Planung seiner Domrémy-Exkursion ein­spannt, in der Übersetzung keinerlei Regiment zugeordnet. Wie ein Ge­schenk des Zufalls kommen sie ihm als»les deux premiers artilleurs que je rencontrai«(T 3) entgegen, als die zwei ersten Artilleristen, die ihm über den Weg laufen. Dass bei diesen sprachlichen Friktionen aber nicht bloß der allgemeine historisch-kulturelle Rahmen des 19. Jahrhunderts, sondern auch das spe­zifisch deutsch -französische Macht- und Spannungsverhältnis mitgedacht werden muss, scheint nahezuliegen. Dabei ermöglicht gerade der kompara­tistische Blick, jene historischen, unter der Sprachoberfläche verlaufenden Reibungsstellen aufzuspüren: Gemeint ist insbesondere Thorels Überset­zung der Kapitelüberschrift»Der Überfall von Ablis«. Diese verweist auf einen Vorfall, der während des deutsch -französischen Krieges in der deut­ schen Presse auf große Resonanz traf. In Reaktion auf den Angriff einer Einheit von französischen Freischärlern wurde die Gemeinde Ablis von deutschen Truppen überfallen, in Brand gesetzt und vollständig zerstört. Das Kapitel»Der Überfall von Ablis« wird in der französischen Überset­zung zur»Verteidigung von Ablis«(»La défense dAblis«) umgedeutet; die offensive geht in die defensive Kampfstellung über und das Identifikations­potenzial verlagert sich von den deutschen Soldaten auf die französischen Freischärler. Thorel wechselt damit nicht nur sprachlich das Lager, sondern legt dem französischen Leser auch eine patriotische Lesart nahe. Neben den sprachlichen werden in der Übersetzung an vielen Stellen auch die geografischen Grenzen konsolidiert. Bereits im ersten Kapitel fällt auf, dass Thorel Fontanes länderübergreifende, topografische Annäherun­gen auf das Nationale reduziert und gerade dort neue Grenzen zieht, wo Fon­tane sie aufhebt. Vergleicht Fontane die französische Landschaft mit der deutschen , wird das vergleichende Element in der Übersetzung oftmals aus­gespart. So stellt er auf der Reise nach Vaucouleurs die»frappante Ähnlich­keit« der französischen Landschaft»mit dem Nuthetal fest, das sich von Pots­ dam aus, an Saarmund vorbei, bis hinauf an die alte sächsische Grenze zieht«(F 15). Thorel lässt diesen Vergleich aus, nicht zuletzt, weil diese Ähn­lichkeit für das französische Lesepublikum sicher alles andere als»frap­pant« war. Denn während Fontane versucht, sich anhand der heimatlichen Landschaftsbilder in der Fremde zu orientieren, erzeugt die Überschnei­dung der Landkarten für den französischen Leser umgekehrt einen den Wiedererkennungswert brechenden Verfremdungseffekt. Ähnlich verhält es sich mit dem Kapitel»Marennes «, wo die»Flachlandgegend« bis nach St. Agnair hin»ebenso gut auch bei Alt-Landsberg oder Jüterbog hätte liegen können«(F 121). Auch dieser Vergleich mit der deutschen Landschaft ver­schwindet in der Übersetzung und wird durch eine vage Formulierung