Heft 
(2023) 116
Seite
65
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Kriegsgefangen in der Übersetzung von Jean Thorel  Anke 65 zu einer hybriden Kreatur halb Mensch, halb Tier, halb Märchenwesen zu verschmelzen. Auch hier bleibt die Antwort auf die Frage nach Thorels mehr oder weniger bewussten Übersetzungsabsichten in der Schwebe; of­fensichtlich ist jedoch, dass E. T. A Hoffmann in der französischen Version einen längeren Schatten wirft als in der deutschen. E. T. A. Hoffmann gehörte im Frankreich des 19. Jahrhunderts zu einem der beliebtesten und mit Abstand meist rezipierten deutschen Autoren, dessen Werk insbesondere bei französischen Romantikern wie Théophile Gautier, Nerval, George Sand oder Baudelaire eine»sensationelle Karriere machte« und folglich»in der Geschichte der deutschen-französischen Be­ziehung einzig dasteht.« 37 Das Beispiel E. T. A. Hoffmann ist in diesem Zu­sammenhang nicht zuletzt deshalb von Interesse, weil eine Fehlüberset­zung seiner Fantasiestücke durch Contes fantastiques in Frankreich das blühende Genre der»Fantastik« begründete. 38 Thorel, den es besonders zu den deutschen Romantikern hinzog, war zweifellos mit dessen Werk ver­traut, und beinahe wirkt es an dieser Stelle so, als hätte er das hoffmann­sche Garn weitergesponnen, um ein Miniaturfantasiestück in das Kapitel einzuweben. Das letzte wundersame Objekt aus dem übersetzerischen Kuriositäten­kabinett befindet sich ebenfalls im Kapitel»Moulins« und ist der Infirmerie­Szene chronologisch vorangestellt. Hierbei handelt es sich weniger um eine Ver- als um eine Abwandlung des ursprünglichen Texts. Der Klang des Wortes»Moulins« verleitet Fontane zu einem poetischen Tagtraum, der Marcel Prousts spätere Ortsnamen-Träumereien im ersten Band der Suche nach der verlorenen Zeit vorwegzunehmen scheint: Ein Bischofssitz! Das war eins. Vor allem aber heimelte der Name mich an; was konnte reizender klingen als Moulins. Ich stellte es mir vor als von Wind- und Wassermühlen umgeben, die einen still und lauschig, die andern rasch und plauderhaft, und dazwischen eine Bevölkerung von Klosterschülern und Mühlknappen, die einen schwarz, die andern weiß, aber alle gleichmäßig heiter, ihr Leben teilend zwischen Singen und Angeln. Nie war eine Vorstellung falscher gewesen.(F 95) Kaum eine Textstelle in Kriegsgefangen ist beispielhafter für die sinnbil­dende Rolle der Syntax. Dieser harmonisch ausbalancierte Satz entfaltet sich in einem gemächlich-schwingenden Tempo, dessen rhythmischer Zweiertakt jene Gleichmäßigkeit widerspiegelt, welche das Rotieren der Mühlen mit der immer gleichen, heiteren Laune der Bewohner in Einklang bringt, bis sich das lauschige Idyll, in dem das Leben zwischen Singen und Angeln beschaulich vor sich hinplätschert, als ein Trugbild erweist. Car Moulins est le siège dun évêché. Ce qui me séduisait avant tout cétait le nom de cette ville. Je me la représentais comme entourée de moulins à eau ou à vent, silencieux ou bavards, avec leur monde de­­meuniers enfarinés, et tout blancs, qui se croisait sûrement dans les