Kriegsgefangen in der Übersetzung von Jean Thorel Anke 67 Leitmotive von Kriegsgefangen, nämlich den Grundkonflikt»zwischen romantischer Erwartung und prosaischer Auflösung«, mithin den»Widerstreit zwischen verfälschender Imagination und frappierender Wirklichkeit« 41 herauskristallisiert und verschärft. Während nämlich die romantische Imagination des Übersetzers Thorel Elemente in der Infirmerie-Szene ›verfälscht‹, löst sich die Ortsnamen-Illusion unter dem Einfluss seiner eigens erlebten ›Wirklichkeit‹ prosaisch auf. Vom Gefängnis zum Palast, Kriegsgefangen zu 10/10 ein Idyll? Zensur in Souvenirs d’un prisonnier de guerre allemand en 1870 Obwohl sie weder massiv noch systematisch ist, verdient die Frage der Zensur in den Souvenirs d‘un prisonnier de guerre allemand en 1870 eine besondere Aufmerksamkeit. Im Hinblick auf den Entstehungskontext der Übersetzung und deren Thematik hätte auch ein größerer Zensur-Anteil nicht überrascht. Doch genau deshalb lohnt es sich, die manipulierten Abschnitte genauer zu untersuchen, nicht zuletzt, weil sie wichtige Schlüsselstellen aus allen Teilen der Erzählung betreffen, aus denen teils ganze Textblöcke herausgeschnitten wurden. Im folgenden Abschnitt soll nun anhand der betroffenen Textstellen erörtert werden, welche Motivationen der Zensur zugrunde lagen und welche Wirkung sie möglicherweise auf die zeitgenössische Lektüre des Texts hatte. Dass die erheblichsten Kürzungen sich gerade in den beiden für die Revue Bleue collagierten Kapiteln finden, ist von Bedeutung. Tatsächlich bezogen sich die allermeisten Rezensenten auf die zusammengeführten Kapitel 5 und 6, wobei fast immer dieselbe Stelle aus dem Kapitel»Rückblicke« zitiert wurde: Im allgemeinen wird man sagen können, daß je nach den Landesteilen, in denen man lebt, auf zehn oder sieben oder fünf Individuen immer ein unleidlicher Mensch kommt; hier lebte ich mit siebzig oder achtzig Gefangenen zusammen, die in der Zeit meiner Anwesenheit zwei- oder dreimal wechselten(so daß ich etwa zweihundert verschiedene Personen kennen lernte), und nicht die geringste Unannehmlichkeit, geschweige Unart habe ich zu erfahren gehabt; sie waren alle verbindlich, rücksichtsvoll, zuvorkommend, dankbar für jeden kleinen Dienst, nie beleidigt durch Widerspruch, vor allem ohne Schabernack und ohne Neid. Wir könnten nach dieser Seite hin viel von ihnen lernen. Es offenbarte sich mir ein unerschöpflicher Schatz von Gutmütigkeit, leichtem Sinn und heiterer Laune. Lauter Sanguiniker.(F 68) Die Stelle illustriert nicht nur Fontanes außergewöhnliche Unparteilichkeit, ein zentrales Leitmotiv der zeitgenössischen Rezensionen, sondern traf den Erwartungshorizont des französischen Lesepublikums. 1894 schrieb
Heft
(2023) 116
Seite
67
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