Heft 
(2023) 116
Seite
68
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68 Fontane Blätter 116 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte ­Téodor de Wyzéwa rückblickend in einem Artikel der Revue des Deux Mondes,­ dass Fontanes Kriegsgefangen mit den Kriegserinnerungen von Karl de Wilmowski zu den wenigen Büchern über den 1870er-Krieg zählten, die es verdienten, übersetzt zu werden, da sie zumindest nicht»humiliant ni blessant pour notre propre amour national«, d.h. nicht demütigend oder verletzend für das eigene nationale Selbstwertgefühl waren. 42 Eine einge­hende Untersuchung insbesondere der Kapitel 5 und 6 zeigt jedoch, dass die Übersetzung auf das nationale»amour-propre« zugeschnitten worden war. Ein eklatantes Beispiel liefert auch hier das Kapitel»Von Besançon nach Lyon«: Nur mühsam verbirgt Fontane hinter dem verharmlosenden Plauder­ton, wie sehr er während seines Aufenthalts im Gefängnis von Besançon un­ter den demütigenden Lebensbedingungen zu leiden hatte. Weil der Erzähler in Kriegsgefangen tendenziell in den Hintergrund tritt, nimmt das Kapitel 5 eine Sonderstellung ein. Auch Jan Röhnert betont die hier veränderte»subti­le Zurücknahme des Erzählers zugunsten der Erzählung als Panorama sei­ner französischen Erfahrung« 43 , wobei Fontane in»fast nietzscheanischer Lebensbehauptung avant la lettre« Traumatisches ausspart und die»Verge­genwärtigung peinlicher oder erniedrigender Momente seiner Gefangen­schaft« von sich weist. 44 Im Wissen um seine plauderfreudige, lichte Tonlage erwartete Fontane denn auch seine deutsche Leserschaft zu irritieren:»Die Leute erwarten eine haarsträubende Räubergeschichte mit Hungerturm und Kettengerassel und was ich Ihnen zu bieten habe, ist zu 9/10 ein Idyll.« Es liegt nahe, das letzte fehlende Zehntel in Kapitel 5 zu suchen. Wein, Käse und die Abendsuppe waren erlaubte Extras, für die aber gezahlt werden mußte. Mir wurde später(als ich leicht erkrankte) Tee bewilligt; aber dabei blieb es. Ich habe dies ohne besonderes Herzeleid ertragen und an mir selber wieder die alte Wahrnehmung gemacht, daß die sogenannten»ver­wöhnten Leute«, wenn sie nicht absolute Gecken sind, sich in den Wech­sel der Glücksumstände am leichtesten finden. Die Bekanntschaft mit den Finessen und Delikatessen des Lebens macht zuletzt ziemlich gleich­gültig dagegen; ihr Wert ist ein relativer, oft geradezu imaginärer, und die flüchtigste Erkenntnis davon macht es einem verhältnismäßig leicht, diese Art von Opfern zu bringen. Es hatte freilich bei dieser Art von Opfern nicht sein Bewenden; Härte­res, sehr Hartes wurde mir zugemutet. Indessen es sei drum. Die Dinge liegen hinter mir, und es tut nicht gut, ja es schädigt einen geradezu, die ganze petite misère eines solchen Daseins auf den Tisch zu legen.(F 53) Fontanes philosophische Betrachtungen werden in der Übersetzung auf folgende Zeilen reduziert: Le vin, le fromage et la soupe du soir étaient des extras autorisés, mais non gratuits. Plus tard, comme jétais souffrant, on me permit du thé: ce fut la seule faveur que jobtins durant tout mon séjour.