Heft 
(2023) 116
Seite
69
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Kriegsgefangen in der Übersetzung von Jean Thorel  Anke 69 Mais Dieu me garde de parler des petites misères qui sont fatalement inhérentes à la situation je me trouvais.(T 56) Die Textkürzung erfolgt hier auf besonders geschickte Weise: Thorel nimmt Fontane beim Wort und legt außer Wein, Käse und Abendsuppe(»le vin, le fromage et la soupe du soir«) von der»ganzen petite misère« und all dem »Harten«, das ihm zugemutet wurde, tatsächlich nichts auf den Übersetzer­Tisch und streicht gleich mehrere Sätze. In gravitätischem Ton verkündet er übersetzend:»Gott bewahre mich von der petite misère zu sprechen, die der Situation, in der ich mich befand, fatalerweise innewohnt«, wobei er nicht nur das Schicksal ins Spiel bringt, sondern sogar Gott als autorisierende Instanz seines ›Verrats‹ am Originaltext über das Gesagte(»parler«) stellt. Ähnlich verfährt Thorel auch mit den umfangreichen Kürzungen im Rest des Kapitels. Fontane schildert dort detailliert den Tagesablauf im Ge­fängnis von Besançon, wobei er die erniedrigenden Lebensbedingungen, den katastrophalen Mangel an Platz, Hygiene und Nahrung nicht ausspart. Seine Schilderung leitet Fontane folgenderweise ein: Ich versuche nun, nachdem ich den Leser mit den»Spitzen der Gesell­schaft« bekannt gemacht habe, ihm im Weiteren einen Tag zu schildern, wie wir ihn in der Zitadelle zuzubringen pflegten. Um 6 Uhr rasselte draußen das Schlüsselbund, die schwere Tür wurde geöffnet, der Ser­geant trat ein[].(F 61) Anschließend beschreibt er den stündlichen Verlauf des Zitadellenalltags, von dem in der Übersetzung allerdings nichts zu lesen ist. Bei Jean Thorel heißt es verkürzend: Après avoir présenté au lecteur les»gros bonnets« de la société, je dirai un mot rapide de la façon dont se passaient nos journées.(T 65) Die Stelle ließe sich folgendermaßen rückübersetzen: Nachdem ich dem Leser die»Spitzen der Gesellschaft« vorgestellt habe, werde ich ein kurzes Wort über den Tagesablauf verlieren. Thorel bricht die folgenden Beschreibungen auf wenig resümierende Sätze herunter, die einen Großteil des Kapitels aussparen. Die Übersetzung be­steht somit in der Tat darin, Fontanes Beobachtungen sehr»rapide«»en un mot«, in einem Wort, zusammenzufassen wie zuvor charakterisiert auch diese Formulierung indirekt einen dissimulierenden Übersetzungsgestus: Sie erweitert sich zu einer metapoetischen Deutungsebene, indem sie halb zugesteht, dass sie dem Leser etwas verheimlicht, Elemente verhüllt und gleichzeitig darlegt, wie sie verhüllt werden: Sei es durch ein rapides, resü­mierendes Wort oder gar Gott, der den Übersetzer davor bewahren soll, von der»petite misère« zu sprechen. Beinahe wirkt es so, als habe Thorel diskre­te Hinweise auf das nun verborgene, letzte Zehntel des Nicht-Idylls in seine Übersetzung eingestreut. Ob Flüchtigkeitsfehler oder bewusste Überset­zung: Die Verharmlosung gipfelt schließlich im»freundlich-bärbeißigen« Gruß der Sergeants zu Ende des Kapitels, der den Gefangenen in der Über-