Heft 
(2023) 116
Seite
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Georg Friedlaenders Aus den Kriegstagen 1870 D'Aprile 95 berg seinem algerischen Kameraden die für die Geliebte bestimmte Übersetzung auf die Rückseite des französischen Textes. 28 Diese Briefchen steckten sie sich dann durch eine Spalte der Zaunplanken zu. So schrieb Henri in der Übersetzung seines Elsässer Regimentskamera­den:»Ich kann Ihnen nicht sagen, wie groß die Freude war, die mein Herz umringte, als ich Ihren Brief lesen ließ; ich dachte, die Erde ist nicht wür­dig, mich zu behalten. Es ist traurig, wenn man lieben thut und kann sich nur anlachen[].« Und auch Linas Antwort erfahren wir: »Leider bin ich nicht im Stande, Ihren Brief zu lesen, denn mein Cousin ist in Berlin. Einem Anderen möchte ich mein Herzensgeheimniß nicht verrathen. Ja, mon Henri, ich liebe Sie! Ist das nicht lächerlich? einen Feind unseres Landes? O mon Dieu, könnte ich nur Ihre Sprache! Ich sehe Ihren Brief an und denke mir, was er enthält und verstehe nur den Namen Lina.« 29 Überhaupt richtet Friedlaender ein besonderes Augenmerk auf die Medien der Kommunikation. Damit die Gefangenen Nachrichten in die Heimat schicken konnten, machte er sie mit den gerade neu eingeführten»Feld­Korrespondenzkarten« vertraut, die von den Gefangenen dann ausgiebig für den Postverkehr mit der algerischen Heimat genutzt wurden. Den ein­zigartigen Quellenwert, den diese Postkarten für die heutige Geschichts­schreibung hätten, wenn sie überliefert wären, erkennt auch schon Friedla­ender, der nicht verschweigt, dass er als Lagerkommandant alles mitgelesen hat:»Das Lesen der Briefe von hüben und drüben, die sämmtlich meine Revue passiren mußten, war überhaupt ein unterhaltendes Geschäft: eine Welt für sich, ein Spiegel der Ereignisse und ihres Eindrucks auf die Gefan­genen und auf Seiten der Verwandten: welch wunderbare Vorstellung von dem Leben im rauhen Preußenlande!« 30 Auch erfahren wir, dass die bald zu Tausenden im Lager eintreffenden Gefangenen eine eigene illustrierte Wochenzeitung unter dem Titel Une plume pour toutes( Eine Feder für alle) gründeten, die bei dem Spandauer Buchhändler Carl Jürgens im Druck erschien. Einige Exemplare davon ha­ben sich auszugsweise in der Pariser Nationalbibliothek erhalten. 31 Nicht zuletzt staunt Friedlaender über die Weitsicht der Gefangenen, die schon mitbedacht hätten, dass sich das Kriegsglück auch schnell wenden und sich ihr jetziger Lagerkommandant jederzeit selbst in einer vergleich­baren Situation wiederfinden könne. Als Friedlaender Ende August an die Front in Frankreich abkommandiert wird, überreichen sie ihm zum Ab­schied Empfehlungsschreiben für den Fall, dass er dort in Kriegsgefangen­schaft geraten sollte. 32 Auch Adolph Menzel, dankbar für die Unterstützung beim Zugang ins Lager, gab ihm einen»freundliche[n] Abschiedswunsch« mit auf den Weg:»Lasse Ihnen der Himmel einen trockenen Marsch und keine weiche Erde zu Theil werden.« 33