Heft 
(2023) 116
Seite
96
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96 Fontane Blätter 116 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Während man sich als heutiger Leser insgesamt durchaus Theodor Fonta­nes und Ludwig Pietschs Einschätzung anschließen mag, dass es sich bei Friedlaenders Buch um außergewöhnliche und bemerkenswerte Erinne­rungen an den Krieg handelt, führte dessen Veröffentlichung sofort zu ganz anderen und für die Beteiligten unerwarteten Reaktionen. Krieg gegen Friedlaenders Erinnerungen Unmittelbar nach Erscheinen der Kriegserinnerungen setzte eine Ruf­mordkampagne seitens preußischer Militärs gegen Friedlaender ein, die ihm auch eine Anzeige wegen»Ehrverletzung« und Beleidigung durch sei­nen ehemaligen Regimentskommandeur, den General Otto von Wulffen, und den Offizier Friedrich Wilhelm Meie eintrug. So behaupteten diese, dass Friedlaender die lobende Besprechung seines Buches in der Vossi­schen Zeitung selbst geschrieben habe ein Vorwurf, der nicht nur Fontane besonders empörte, sondern dem auch der Verfasser der Rezension Ludwig Pietsch in einer öffentlichen Gegendarstellung widersprach. Der Beleidi­gungsvorwurf bezog sich auf eine Stelle in Friedlaenders Buch, nach der der General von Wulffen einen Moment lang»verblüfft« gewesen sei für Fontane und Friedlaender eine bloß vorgeschobene»Lappalie«. Vielmehr schien den Militärs die ganze Richtung des Buches sowie allein schon die Tatsache nicht zu passen, dass ein aus ihrer Sicht»jüdischer« Reserveleut­nant überhaupt Kriegserinnerungen veröffentlichte. Dass die Kampagne auch einen antisemitischen Hintergrund hatte, lässt sich aus späteren Äu­ßerungen Friedlaenders ablesen. 34 Nachdem sich Fontane am 7. November 1886 brieflich bei Friedlaender für die Zusendung des frisch erschienenen Buches und die Widmung be­dankt hatte, erwähnte er schon am nächsten Tag erstmals die Affäre: Wie einst der Katholizismus[] den Einzelmenschen von»im Mutterlei­be an« bis über das Grab hinaus in den Händen hielt[], so jetzt der Militarismus. Ihr Fall ist ein schrecklicher Beleg dafür. Was soll der ganze Quatsch?[] Ich finde es geradezu gräßlich, und außer Ihnen werde ich wohl der am meisten Empörte sein.[] Man erlebt etwas und beschreibt es 16 Jahre später[] und für solche rein persönliche Auf­zeichnungen soll ich einem militärischen Gerichtshof oder einem Eh­rengericht verantwortlich sein? Unsinn.[] Wenn man solch Buch, wie das Ihrige nicht mehr publiciren darf ohne den»Staat« an irgend einer Stelle zu kränken, so kann mir der ganze Staat gestohlen werden. 35 Fontanes Entsetzen, der sich als literarischer Berater und Förderer Fried­laenders selbst mitbetroffen sah, wird in allen seinen Äußerungen deut­lich. Ausdrücklich sah Fontane sich durch den Fall an seine eigene Situati-