Heft 
(2023) 116
Seite
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Georg Friedlaenders Aus den Kriegstagen 1870 D'Aprile 97 on»Anno 76« erinnert, als er wegen der Reaktion auf seine vermeintlich zu »franzosenfreundlichen« Kriegsbücher und der ausbleibenden Anerken­nung den preußischen Staatsdienst nach mehr als 25 Jahren aufgekündigt hatte. 36 In den Worten Walter Hettches markiert das Verfahren gegen Friedlaen­der den»sehr genau feststellbaren« Wendepunkt in Fontanes Werk hin zu einer»Grundsatzkritik am preußischen Militärwesen[], deren Radikalität in dieser Zeit ihresgleichen sucht«. Die Romane Quitt und Effi Briest, an de­nen Fontane in dieser Zeit arbeitete, tragen unübersehbar dessen Spuren. 37 Darüber hinaus beschränkte sich Fontanes Reaktion nicht aufs Schrei­ben wütender Briefe und literarische Anspielungen, sondern er ließ seiner Äußerung, dass ihm»ein solcher Staat gestohlen bleiben« könne, auch Ta­ten folgen. Als Bismarck im Januar 1887 wieder einmal den Reichstag auf­löste, weil dieser einer Erhöhung der Truppenstärke und des Militäretats nicht zugestimmt hatte, boykottierte Fontane aktiv die Neuwahlen vom 21. Februar 1887. Als er, wie in Zeiten von Wahlpflicht und nicht-geheimer Wahl üblich, zu Hause zur Wahl abgeholt werden sollte, weigerte sich Fon­tane beharrlich mitzugehen. An seinen Freund Karl Zöllner schrieb er am nächsten Tag:»Die Wahlen sind Gott sei Dank vorbei; noch in 12. Stunde wollte man mich durch einen ›Eilenden‹ an die Wahlurne citiren, ich lehnte aber standhaft ab; die Verhältnisse liegen bei mir so complicirt, daß ich Ehren und Anstands halber nicht stimmen kann.« 38 Seine Entscheidung hatte Fontane zuvor brieflich Friedlaender angekündigt und begründet. Den engen Zusammenhang zwischen seinem Wahlboykott und Friedlaen­ders Prozess macht Fontane implizit kenntlich, indem er den Vorwurf der Ehrverletzung umkehrt und im Gegenteil den Reichskanzler Bismarck der­selben bezichtigt: Was machen die Wahlen? Und wie werden Sie glücklich aus dem Dilem­ma herauskommen? Ich kann mich von der Betheiligung drücken, aber Sie müssen heran und Farbe bekennen, was[] für einen freisinnigen Mittelsmann eine sehr schwere Sache ist. Dazu kommt, daß der Bis­marck-Enthusiasmus, selbst bei seinen aufrichtigsten Bewunderern, immer mehr ins Wackeln kommt; er behauptet Fabelhaftes immer ins Gelache hinein und schneidet den besten Leuten flott drauf los die Ehre ab. 39 Friedlaenders Verfahren, das gemäß»Allerhöchster Verordnung über die Ehrengerichte im Preußischen Heere« aus dem Jahr 1874 in der Garnison Hirschberg von Friedlaenders Heimatkompagnie(dem Zweiten Nieder­schlesischen Landwehrregiment Nr. 47) abgehalten wurde, zog sich der­weil in die Länge. Zwischenzeitlich drohte Friedlaender neben dem Verlust des militärischen Ranges und seines für besondere Verdienste erworbenen Eisernen Kreuzes sogar die Entlassung als Amtsrichter. Zwei Tage vor dem