Heft 
(2023) 116
Seite
133
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Fontane und der»Bruderzwist im Hause Mann« Erler 133 durch den kulturphilosophischen Erzähler Thomas Mann, von Budden­brooks bis Doktor Faustus. Ich bekenne aber: Wenn ich nicht vor vielen Jahrzehnten bei Fontane gelandet wäre, wäre wohl Heinrich mein wissen­schaftlicher Favorit geworden. Ich will im Folgenden zu erörtern versu­chen, warum mir, bei allen Bedrängungen durch Ukraine-Krieg und Kli­makrise, der nur scheinbar historische Konflikt der Lübecker Brüder immer wichtig war und ist und wie intensiv er meine Arbeit im Aufbau-Verlag be­gleitet hat. Und wenn ich schon ins Autobiographische gerate, füge ich noch etwas ganz Privates hinzu: Dass ich diesen Vortrag hier in der spezifischen Aura des Theodor-Fontane-Archivs halten darf, empfinde ich(mit Fontane zu sprechen) als»Glück und Gnade«, zumal ich heute noch ein zweites Jubi­läum damit verbinden kann: Ich bin nämlich vor ziemlich genau sechzig Jahren, wenn auch an anderem Ort, zum ersten Mal in diesem Archiv ge­wesen. Doch zurück zum Thema. Es ist fast nicht zu glauben, was der große Thomas Mann seit dem Jahre 1914 aus dem europäischen, ja aus dem abendländischen Wertekanon ge­strichen und stattdessen apostrophiert hat. Er ist, wie allzu viele deutsche Intellektuelle und Künstler, begeistert vom Ausbruch des Krieges und legt seine gerade entstehenden Schriften Gedanken im Kriege und Friedrich und die große Koalition als Rechtfertigungen dieses Krieges an, den er in einem Brief an Heinrich vom 18. September 1915 allen Ernstes als einen (Originalton)»großen, grundanständigen, ja feierlichen Volkskrieg« be­zeichnet. In dieser Auffassung beginnt er mit der Niederschrift seiner Be­trachtungen eines Unpolitischen(1918), jener Enzyklopädie aller konservati­ven, antidemokratischen Denkelemente, jenem Loblied auf Demut und Gehorsam, auf Monarchie und aristokratische Standesideale. Die bürger­lich-demokratische Revolution des 19. Jahrhunderts wird strikt verworfen und die nachrevolutionäre Ideologie in den Gestalten von Wagner, Scho­penhauer, Nietzsche und Dostojewski beschworen. Energisch polemisiert er gegen den aufklärerischen Rationalismus in Frankreich, legt sich mit dem großen französischen Romancier und Kriegs-Kritiker Romain Rolland an(Literaturnobelpreis 1915) und attackiert durchgängig die Spezies der »Zivilisationsliteraten«, unter denen Bruder Heinrich unschwer als der pro­minenteste zu identifizieren ist. In der Tat ein schlimmes Buch des späteren Nobelpreisträgers, und ein klein wenig habe ich´s schon verstanden, als einer den Aufbau-Verlag 1983 als verfassungsfeindlich zu denunzieren versuchte, nachdem wir dieses längst historisch gewordene Dokument erstmals für den DDR-Bereich im Aufbau-Verlag gedruckt hatten(innerhalb der Essay-Edition, die Harry Matter so glanzvoll begonnen hatte, die aber durch seinen frühen Tod nicht vollendet worden ist). Die Attacke kam von Wolfgang Harich, Mitarbeiter des Aufbau-Verlages, der in den fünfziger Jahren eine bessere, eine andere DDR gefordert hatte und dafür, zusammen mit dem Aufbau-Verlagsleiter