Heft 
(2023) 116
Seite
135
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Fontane und der»Bruderzwist im Hause Mann« Erler 135 Laß die Tragödie unserer Brüderlichkeit sich vollenden. Schmerz? Es geht. Man wird hart und stumpf. Seit Carla sich tötete[er meint den Sui­zid der Schwester 1910, G. E.] und Du fürs Leben mit Lulu brachst[mit dem Schlüsselroman Die Jagd nach Liebe um die Schwester Julia, G. E.], ist Trennung für alle Zeitlichkeit ja nichts Neues mehr in unserer Ge­meinschaft. Ich habe dies Leben nicht gemacht. Ich verabscheue es. Man muß zu Ende leben, so gut es geht. Heinrich Mann seinerseits leitete denn auch einen Brief vom 5. Januar 1918 mit folgenden Sätzen ein:»Lieber Tommy, vor solcher Verbitterung müßte ich verstummen und die ›Trennung für alle Zeitlichkeit‹ so hinnehmen, wie sie geboten wird.[...] Aber ich trenne mich niemals vorsätzlich und für im­mer. Ich lasse es darauf ankommen, ob auch der andere Teil einst das Seine tut, daß man sich wiederfindet. So ist die Art meiner ›zelotischen Leichtle­bigkeit‹«, die Thomas ihm in seinem Brief vorgehalten hatte. Erst ein Jahr später gibt Thomas Mann seine pathetisch stilisierte Haltung auf. Eine schwere Erkrankung Heinrichs Ende Januar 1922 Blinddarmoperation während einer schweren Grippe bringt eine Annäherung zustande, die allerdings vonseiten Thomas Manns höchst skeptisch beurteilt wird. Er schreibt am 2. Februar an Ernst Bertram:»Freudig bewegt, ja abenteuer­lich erschüttert, wie ich bin, mache ich mir doch keine Illusionen über die Zartheit und Schwierigkeit des neu belebten Verhältnisses. Ein modus vi­vendi menschlich-anständiger Art wird alles sein, worauf es hinauslaufen kann. Eigentliche Freundschaft ist kaum denkbar.« Ich schalte eine kurze Fußnote zu diesem Zitat ein. Heinrich und Thomas Mann konnten damals nichts von der Beziehung ihres verehrten Freundes Fontane mit jenem Wilhelm von Merckel wissen, der, ein arg konservativer Jurist am Kammergericht, 1848 den Slogan erfunden hatte:»Gegen Demo­kraten helfen nur Soldaten.« Aber genau mit diesem Erzkonservativen hat der Demokrat und Barrikadenkämpfer Fontane über viele Jahre ein herz­lich-freundschaftliches Verhältnis unterhalten, das sich weit mehr als ›menschlich-anständig‹ gestaltete. Ich weiß, wovon ich rede; ich habe den Briefwechsel der beiden 1987 in zwei starken Bänden herausgegeben. Konträre Positionen, gegensätzliche Entwicklungen Schon diese wenigen Briefzitate deuten die Dimension des Konflikts an: Zwei völlig konträre Weltsichten und Weltanschauungen treffen aufeinan­der und individualisieren sich in Charakter und Lebensphilosophie. Der Streit bricht 1914/15 aus, aber Ursachen und Hintergründe liegen weit zu­rück. Die ersten schriftstellerischen Versuche gehen beide auf ähnlichen We­gen und mit durchaus verwandten Themen, und zeitweise hatten die beiden