138 Fontane Blätter 116 Freie Formen Manns Roman vom Professor Unrat den Film Der blaue Engel und erzielt einen Welterfolg. Heinrich Mann hat die Konstellation in seiner Autobiographie amüsant gekennzeichnet:»Viel Nachfrage fand ein Hampelmann: mein Kopf und die Beine einer Schauspielerin. Ein Filmstoff von mir hatte alle drei, das Talent der Frau und ihre zwei reizenden Gliedmaßen, berühmt gemacht.« Stichwort Gliedmaßen: Heinrich Mann war, wenn man seinen Bekenntnissen und den Geschichten seiner Freunde glauben darf, ein erfahrener Frauenkenner und ein leidenschaftlicher Liebhaber. Es ist überliefert, dass er mehrfach mit dem Abendzug von München nach Salzburg reiste, um in einer Operninszenierung die erotisch anregende Beugung des Schenkels einer Sängerin zu bewundern. Und schließlich hat Alma Mahler-Werfel glaubhaft erzählt, dass er auf der Überfahrt nach New York immerzu Busen gezeichnet habe, die ständig üppiger wurden. In Heinrich Breloers Film über Die Manns findet Katia Mann solche Darstellungen im Nachttisch des gerade Gestorbenen. Dabei fällt mir ein, dass Heinrich Mann, der in jungen Jahren schwankte, ob er schreiben oder malen sollte, im Alter eine reizvolle Folge von 35 Bleistiftzeichnungen anfertigte, die, atmosphärisch dicht, Szenen seiner Ersten zwanzig Jahre(so der Titel) festhalten: bildliche Erinnerungen an die Eltern, den Vater vor allem und die attraktive Mutter, das gesellige Leben in Lübeck, Travemünde und St. Petersburg und eben auch allerlei Erotisches. Ich habe die Blätter 1975 herausgegeben. Im Münchener Haus Thomas Manns war man über die Berliner Amouren des Bruders nicht gerade glücklich, doch die Beziehungen zwischen Thomas und Heinrich pegelten sich mit der Zeit wieder auf eine normale geistige Partnerschaft ein. Denn beide sind in den zwanziger Jahren Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, respektiert und angefeindet, geliebt und beschimpft. Von Heinrich Manns Untertan(nach dem Vorabdruck 1914 erst 1918 als Buch erschienen) werden in vier Wochen hunderttausend Exemplare verkauft; er ist ein Erfolgsautor. Er ficht publizistisch und mit persönlichem Einsatz gegen die immer deutlicher werdende Rechtsentwicklung in der Republik, die er zu einer sozialen Demokratie zu führen wünscht. Er ist der beredte Propagandist der längst überfälligen deutsch-französischen Verständigung, und viele Intellektuelle sehen in ihm den künftigen Reichspräsidenten, als den ihn Kurt Hiller 1932 allen Ernstes nominiert. Thomas Mann, auf eine apolitische Humanität eingeschworen, bekennt sich in seiner berühmten Rede»Von deutscher Republik« zu deren bürgerlich-humanistischer Version. Er schreibt den Zauberberg(1924) und erhält 1929 den Literaturnobelpreis für Buddenbrooks.
Heft
(2023) 116
Seite
138
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