Heft 
(2024) 117
Seite
46
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46 Fontane Blätter 117 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte ­omnipräsenten Trotzkopf-Modell des späten 19. Jahrhunderts. Fontane wie Rhoden setzen in ihren Romanen bei der gesellschaftlich verdammten mo­ralischen Verwerflichkeit dieser ›Wildheit‹ als prävalentem Charakterzug an; rund zwanzig Jahre nach Erscheinen von Rhodens Bestseller rückt ­Fontane mit Effi Briest das Modell des Trotzkopfs als dominierenden Mäd­chentypus der Epoche erneut ins Zentrum seines literarischen Schaffens und entwickelt es weiter. Rhoden wie auch Fontane bearbeiten die drängen­de Problematik der weiblichen Geschlechterrolle zwischen Freiheitsstre­ben und Anpassung an das Tugendideal der Zeit, allerdings divergiert Fon­tanes Schicksalskonzept der Kindfrau in entscheidenden Punkten vom Entwicklungs- und Reifungsprozess, den Rhoden ihrem Trotzkopf angedei­hen lässt: Die fünfzehnjährige Ilse wird in eine Mädchenpension geschickt, wo sie sich, im Einvernehmen mit der pädagogisierenden Erzähler:in, ihre teils als kindisch, teils als erotisch identifizierbare Wildheit von den Erzie­herinnen und Freundinnen langsam aber stetig austreiben lässt. Das pu­bertäre Autonomiestreben tauscht Ilse gegen biedere Fügsamkeit ein, wo­für der nunmehr Siebzehnjährigen am Ende des Romans eine neue Rolle als glückliche Ehefrau in einer heilsamen Musterehe mit einem Mustergatten winkt, während Fontane den Erziehungseifer Innstettens bekanntlich an Effis natürlicher Wildheit langfristig scheitern lässt. Die Erziehung der Trotzköpfe Emmy von Rhoden erzählt den Entwicklungsgang beziehungsweise ›er­folgreichen‹ Erziehungsprozess des ›ungezogenen‹ Trotzkopfs Ilse im Zeit­raum von rund einem Jahr. Eingangs werden die Umstände im gehobenen bildungsbürgerlichen Haushalt der Familie Macket geschildert sowie der in verschiedenen Alltagssituationen zutage tretende stürmische Charakter und das unreife, ungezogene Benehmen des Einzelkindes in Szene gesetzt. Durch die Verwöhntheit, die schlechten Manieren, die Wildheit des Mäd­chens sehen sich die durchaus gutmeinenden Eltern der liebende und gleichwohl nachlässige Papa und die vernünftige, aber keineswegs böse Stiefmutter genötigt, ihre Tochter zu Erziehungszwecken in ein Mädchen­pensionat zu geben. Wie zu erwarten, weigert sich Ilse zunächst, sich den Regeln der Pensionats zu unterwerfen, wird aber im Laufe der Zeit durch subtile Erziehungsmethoden brav und gefügig gemacht, und zwar wahl­weise durch Belohnung oder Bestrafung, soziale Integration oder Isolation, das heißt durch»psychologische Methoden wie Gewissensappelle, ein­dringliche Gespräche und Liebesentzug« seitens der Bezugserzieherinnen und Freundinnen, und nicht zuletzt durch warnende Negativbeispiele. 8 Un­terhaltsam schildert Rhoden das Alltagsleben der Mädchen im Internat (den Unterricht, die Mahlzeiten, Freizeitaktivitäten) und außergewöhnliche