Heft 
(2024) 118
Seite
12
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12 Fontane Blätter 118 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes schnitt sie ihr Abends so schreckliche Gesichter vor, daß das geängstigte Kind sie schließlich bat doch von ihr zu gehn. Das geschah denn nachträg­lich auch und das noch nicht achtjährige Kind [8] blieb nun eingeschlossen in sein dunkles Schlafkämmerlein, allein, wo es die Hausbewohner oft wimmern hörten, 20 Die nie geordneten Vermögensverhältnisse des Hr. K. verleiteten ihn zu einer zweiten Heirath mit einer ältlichen, wohlhabenden Wittwe, weit unter seinem Stande. 21 Die Ehe war unglücklich und Emilie hatte sehr darunter zu leiden. In dieser Zeit wurden auch die traumhaften Erinnerungen ihrer frühsten Jugend wieder in ihr erweckt. Die Frau schimpfte das arme Kind oft in den rohesten Ausdrücken, auch unter andern»angenommener Pan­ker« welches Wort das Kind am tiefsten kränkte, da es sich seine Bedeutung nicht erklären konnte. Oft wenn Emilie bitterlich weinte und sagte wenn ich doch bei meinen Eltern wäre, gab ihr die rohe Frau die Antwort: da kannst Du lange suchen. Die einzige und größte Freude die sie in dieser Zeit hatte, war eine Reise nach Dresden , zu den Verwandten ihres Pflegevaters. 22 Der­selbe reiste mit seiner neuen Frau und dem Kinde dort hin. Eine blinde Schwester, ein Mädchen anfangs der dreißiger, nahm sich zärtlich der klei­nen Emilie an und das lebhafte liebebedürftige Kind schwärmte bald für die fromme, milde Tante Auguste. 23 Doch diese Zeit verging schnell, sie kehrten nach Berlin zurück, und die Tage wurden immer trüber. Die Geld­mittel wurden knapper, die Frau sah ein daß es auf ihr Vermögen abgesehn worden war, und während sie eine Scheidung einleitete, hiel sie Mann und Kind so knapp, daß das letztere wenn es spät aus der Schule kam, in dieser traurigen Zeit oft des Hundes Essen theilen mußte. [9] Diese Zeit, in der Emilie den geliebten Vater unter der rohen Behandlung seiner Frau leiden sah, erweckte die schwärmerischte Liebe des Kindes für denselben und wurde eine Mauer die sie schützte, den leider sehr schatten­reichen Charakter ihres Pflegevaters zu entdecken, wenigstens verbarg ihr denselben für eine lange Zeit. 24 Endlich erfolgte die Scheidung. 25 Vater und Kind athmeten auf; eine Reise nach Dresden und mit der geliebten Tante nach Teplitz entschädigte sie für die ausgestandenen Leiden. Emilie war nun zwölf Jahre; sie besuchte eine gute Schule 26 und da die Mittel ihres Pflegevaters zu einer Gouvernante für sie nicht ausreichten, so nahm er eine Haushälterin zu sich und suchte dabei eine möglichst gute Wahl zu treffen. Das Treiben derselben war aber nicht geschaffen einem aufgewecktem Mädchen zu imponiren, sie waren scheinthuerig vor dem Herrn und mehr denn scheinlos vor dem Kinde. Anstatt wenigstens Auf­sicht bei den Schularbeiten zu Hause zu finden, wurde sie wo möglich bei Anfertigung derselben verhindert, da Abends wenn der Vater in der Res­source war die Liebhaber und guten Freunde der Haushälterin zu Besuch erschienen. So kam es denn daß ein beständiger Wechsel dieser Frauen-