Heft 
(2024) 118
Seite
38
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38 Fontane Blätter 118 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte den Krieg partizipieren, nimmt Teil 3 den ideen- und sozialhistorischen Kontext in den Blick. Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts promi­nenten bellizistischen Debatten werden dabei ebenso zur Sprache kommen wie die konkrete Militarisierung der Gesellschaft. Teil 4 zeigt dann am bis­lang nur wenig erforschten Phänomen der literarischen Darstellung von Veteranen, dass Fontane und Raabe in ihren Erzähltexten vergleichbare Aspekte von Kriegsgesellschaften verhandeln, Gleiches tut Teil 5 am Bei­spiel ihrer literarischen Kontrastierung der bellizistischen Geschichts­schreibung. Die Analyse kulminiert in Teil 6 in der Frage nach dem Verhält­nis von Kriegsdarstellung und realistischer Poetik. 2. Kriegsgesellschaften bei Fontane und Raabe Im Frühjahr 1871 reist Fontane als Reporter in das von deutschen Truppen besetzte Frankreich , um eine Reihe von Artikeln über den deutsch -franzö­sischen Krieg zu veröffentlichen. Nach seiner Ankunft in St. Denis steigt er auf den nahe gelegenen Mont des Moulins . Von dort beobachtet er aus der Ferne die Kämpfe zwischen der französischen Armee und den Pariser Kom­munarden: Endlich waren wir oben. Der Berg schien bastionsartig vorzuspringen. Auf dem Plateau standen: eine Mühle, ein Wirtshaus und ein Beobachtungsgerüst, auf welchem letztern ein großer Tubus[] wie ein kleines Geschütz im Anschlage lag. Um dieses Rohr herum standen Offiziere aller Grade, einige von Dienst wegen, um von Minute zu Minute das Auge an das Rohr zu legen; die meisten waren Gäste wie wir. Sie kamen und gingen. Der Windmühlen­berg von Sannois war eben in jenen Tagen die große Sehenswürdigkeit von St. Denis ; das in einem früheren Kapitel beschriebene Theater, was war es neben diesem Amphitheater?! Hier saßen wir[], blickten nieder in die Arena und sahen, wie die Versailler und die Föderalen, wie die dreifarbige und die rote Republik miteinander rangen. Für den Philan­thropen traurig, für den Maler entzückend. 3 Die blutigen Kämpfe, die in Paris toben, lösen bei den schaulustigen Touris­ten auf dem Berg allerdings wenig Schrecken aus:»So verging eine Viertel­stunde. Wir plauderten; wir berechneten die Chancen des Erfolges«. 4 Wie diese Szene seiner 1871 unter dem Titel Aus den Tagen der Okkupa­tion erschienenen Reportage deutlich macht, ist für Fontane der Krieg kein Ereignis des ›Erhabenen‹. Kants Aufnahme des Krieges in den Katalog des Dynamisch-Erhabenen 5 wirkte bekanntlich bis in die Literatur der Roman­tik 6 und war noch in den journalistischen Kriegsbeschreibungen der 1870er-Jahre zu spüren. Über diese mokiert sich Fontane, wenn er, in einer französischen Gaststätte sitzend, eine»Vorlesung aus dem Petit Journal«