Heft 
(2024) 118
Seite
46
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46 Fontane Blätter 118 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Auch Raabes Erzählungen zeigen großes Interesse an der Figur des Vetera­nen, beleuchten aber einen anderen Aspekt. Sie machen die soziale Realität der zahlreichen Kriegsversehrten und Kriegsrückkehrer des Kaiserreichs und damit eine weitere Facette der damaligen Diskussion in der Öffentlich­keit sichtbar. Anders als bei Fontane entstammen Raabes Veteranen den mittleren und unteren Gesellschaftsschichten. Die im deutsch -französi­schen Krieg spielenden Novellen Deutscher Adel und Villa Schönow teilen mit der Berliner Gaststätte»Butzemanns Keller« einen gemeinsamen Hand­lungsraum, in dem sich nachts Kriegsinvaliden und andere sozial Margina­lisierte sammeln. 49 Und auch in Die Innerste gibt es mit der»Buschmühle« einen Ort, in dem sich Veteranen unter»Strolche, Halunken und Vagabun­den« mischen. 50 Besondere Aufmerksamkeit widmet Raabe der Heimkehr aus dem Krieg und der Frage, wie die Gesellschaft mit den Verletzungen und Traumata der Veteranen umgeht. In Villa Schönow stirbt der Maurergeselle Ludwig Ame­lung an den Folgen seiner im deutsch -französischen Krieg erlittenen Ver­wundung. 51 Deutscher Adel zeigt, welche Folgen ein Kriegseinsatz für ein Mitglied des Kleinbürgertums haben konnte: Zuerst soll Ulrich Schenks Hund gepfändet werden, 52 dann wird er an der Schulter verwundet und in ein überfülltes schwäbisches Lazarett transportiert. Allein der Zuwendung seiner Mutter und seiner Freunde ist es zu verdanken, dass er überlebt und schließlich seinen Platz in der Nachkriegsgesellschaft findet. Anders ergeht es den Veteranen in Die Innerste . Albrecht von Bodenhagens Heimkehr aus dem Siebenjährigen Krieg beantwortet sein Vater damit, dass er ihn als »Vagabonde« und»Landläufer« beleidigt und mit einem spanischen Rohr­stock verprügelt. 53 Auch wenn Albrecht nicht verwundet wurde, ist er seit dem Krieg depressiv, wird immer wieder von Erinnerungen an die»Trom­meln«,»Trompeten« und»Schüsse« eingeholt 54 und spielt mit dem Gedan­ken, sich im Fluss zu ertränken:»Der Krieg hat mich kaputt gemacht«. 55 Sein ehemaliger Kompagnon Jochen Brandt dagegen hat im Krieg einen Arm verloren 56 und vagabundiert seitdem durch den Harz, wo er sich mit ande­ren Außenseitern verbündet. Die Verachtung, mit der die Veteranen in ihrer Heimat konfrontiert werden, ist so allgegenwärtig wie ihr sozialer Abstieg. Die entscheidende Frage ist in Die Innerste nicht, wie in Fontanes Romanen, ihr Verhältnis zu jungen, aufstrebenden Offizieren, sondern ob es ihnen gelingt, sich zu solidarisieren und gemeinsam zu kämpfen. Damit stellt sich Raabes Erzählung gegen die harmonischen Bilder, die deutsche Medien während des deutsch -französischen Krieges von der Lage der verwundeten Soldaten transportierten. Eine besondere Rolle spielte da­bei das Weihnachtsfest des Jahres 1870. In der Heimat konnten die zurück­gebliebenen Eltern, Ehefrauen und Freunde den Eindruck gewinnen, dass die Soldaten während der Belagerung von Paris ein idyllisches Weihnach­ten feierten. Wie eine zu Beginn des Jahres 1871 in der Gartenlaube publi-