Heft 
(2024) 118
Seite
48
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48 Fontane Blätter 118 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte 5. Spuk und Gewalt: Historische Sedimente des Krieges Die literarische Reflexion des Verhältnisses von Militär und Gesellschaft wäre nicht möglich, wenn Fontane und Raabe in ihre Texte nicht histori­sche Subtexte einfügen würden. Das Zusammenspiel von Geschichte, Krieg und Nation war nicht nur im bellizistischen Diskurs, sondern auch in der Belletristik des Kaiserreichs üblich. Dies zeigen erfolgreiche Romanzyklen wie Felix Dahns Ein Kampf um Rom(1876) und Gustav Freytags Die Ahnen (1872–1880). Letzterer verspricht, wie Walter Erhart festhält, den Lesern »nationale Kontinuität« im»Spiegel der germanischen Ahnenwelt«. Er zeige »den neuen Gründern, wie sich familiale und kriegerische Männlichkeit in Deutschland schon immer einträchtig verbinden ließen.« 60 Auch die Figuren Fontanes und Raabes bewegen sich in einer Gesell­schaft, die ohne die Tiefenschicht vergangener Ereignisse nicht denkbar scheint. Bei Fontane erschließen sich die Protagonisten während ihrer Aus­flüge und Spaziergänge die preußische Geschichte und machen sie so als Kriegsgeschichte lesbar. 61 Dies trifft auf die Wanderungen durch die Mark Brandenburg ebenso zu 62 wie auf die fiktionalen Texte. In den Schlössern, Kirchen, Häusern und Wohnungen der Romane hängen Bilder vergangener Schlachten, stehen Denkmäler von Kriegshelden. Auch in der Landschaft sind diese Erinnerungen gespeichert, worauf der Historiker und Privatge­lehrte die Touristengruppe in Cécile während ihrer Harzwanderung auf­merksam macht. 63 Die folgende Passage aus Vor dem Sturm zeigt dies ein­drücklich: Die Protagonisten wandern durch die Landschaft des Oderbruchs und erblicken das Dorf Oetscher in der Ferne: »Oetscher! Ich habe nie den Namen gehört.« »Und doch spielt er in unserer Geschichte mit. Zwei Meilen südlich liegt Kunersdorf, wo Kleist fiel[]. Hierher, auf Oetscher zu, zogen sich an jenem furchtbaren Augusttage die zu Kompagnien zusammenge­schmolzenen Regimenter, Schiffbrücken wurden geschlagen, und ange­sichts der Stelle, wo wir jetzt stehen, gingen die Trümmer über den Strom.« 64 Parallel hierzu verstärkte sich nach 1871 in der Geschichtsschreibung des Kaiserreichs die bellizistische Tendenz. 65 Die Zahl der Publikationen zum deutsch -französischen Krieg und der Reichsgründung war in den 1870er­und 1880er-Jahren enorm. Besonders einflussreich waren die borussischen Historiographien Heinrich von Treitschkes und Leopold Rankes, die die Gründung des deutschen Staates aus dem Geist des Krieges affirmierten und ihm ein weltpolitisches Telos einschrieben. Für Treitschke konnte das Volk nur im Krieg zu sich selbst kommen, nur der Krieg mache einen Staat zu einem starken Nationalstaat. 66 Ranke fügte das bellizistische Narrativ in die Geschichte der letzten Jahrhunderte ein und sah den seit dem 17. Jahr-