Heft 
(2024) 118
Seite
81
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Innstettens Angst vor dem Chinesen Siemsen 81 hier etwas spukt, dann ist das also nicht nur die alte Chinesengeschichte, sondern zugleich die psychische Problematik der Protagonisten, die an­hand der Spukgeschichte sozusagen über die Bande gespielt wird.« 70 So­phia Wege 71 findet gemäß ihrem Forschungsansatz die Antwort auf die Fra­ge nach dem ontologischen Status des Spuks in der Schopenhauerschen Philosophie, in der Geistererscheinungen als»Emanation des Willens von Verstorbenen« 72 in die Wirklichkeit inkludiert sind. 73 Dabei wird vorausge­setzt, dass Fontane als nachweislicher Rezipient von Schopenhauer und ins­besondere vom Versuch über das Geistersehen dessen Theorie in seine Schreibpraxis übersetzt hat.»Die Art und Weise, wie Fontane den Spuk inszeniert und erzählt, schließt die Option, dass der Spuk innerhalb der Fiktion real und nicht nur eingebildet oder symbolisch ist, stets ein und je­denfalls nicht kategorisch aus.« 74 Für Christian Grawe dagegen ist»die Fra­ge nach der Existenz der Erscheinungen völlig irrelevant[]. Es geht ledig­lich um die Reaktion der Menschen auf ihr angebliches Vorhandensein.« 75 An die hier skizzierten Deutungen, die eine Leidensgenossenschaft zwi­schen Innstetten und dem Chinesen erkennen, wird im Folgenden ange­knüpft. Die vielfach konstatierte Traumatisierung Innstettens durch Luises Zurückweisung und die ebenso vielfach hervorgehobenen Parallelen zwi­schen seinem Liebesdreieck und dem des Chinesen bilden die Grundlage dafür, in der vorliegenden Untersuchung ein anders ausgerichtetes Ver­ständnis Innstettens zu entwickeln, das sich an seiner einstigen Gefähr­dung orientiert, wozu der Blick auf weitere Paralleldreiecke geweitet wird. Dass dabei der von Hehle 76 und Müller-Salget 77 betonten strukturellen Un­eindeutigkeit und Unbestimmtheit des Chinesenmotivs, jedenfalls für die Figur Innstetten, wieder eine definiertere und klarer zu umreißende Funk­tion und Bedeutung gegenübergestellt wird, muss sich aus der Kohärenz und Überzeugungskraft einer solchen Interpretation rechtfertigen. Die Al­ternative, wegen der Überkomplexität des Chinesenmotivs bei der Feststel­lung stehen zu bleiben, dass keine Deutung dieser Komplexität gerecht wer­den kann, scheint mir zu wenig Erkenntnisgewinn zu erbringen. 3. Der Chinese als Angstzentrum Innstettens Wer also, um die Frage Dieter Krohns noch einmal aufzugreifen, hat eigent­lich Mitleid mit Innstetten? Nun, zunächst einmal wohl Fontane selbst. Mehrfach nämlich äußert er sich brieflich zur Beurteilung Innstettens als einem»alten Ekel«, eine Einschätzung, die offenbar häufiger, insbesondere wohl vom weiblichen Lesepublikum, an ihn herangetragen wurde. Zwei Äußerungen seien exemplarisch aufgegriffen. So schreibt er am 24. März 1895 an Rosetta Frank:»Interessant ist mir die Wahrnehmung, dass alle Damen gegen den armen Innstetten eingenommen sind, immer wieder ein