Heft 
(2024) 118
Seite
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»Forum Junge Fontane Forschung« 169 Fontane aus deutsch -französischer Perspektive. Zur ersten französischen Übersetzung von Fontanes Kriegsgefangen durch Jean Thorel: Souvenirs dun prisonnier de guerre allemand en 1870 Souvenirs dun prisonnier de guerre allemand en 1870: Unter diesem Titel erschien in Frankreich 1891 Fontanes autobiografischer Bericht Kriegsgefangen in der Übertragung des Kritikers und Schriftstellers Jean Thorel(1859–1916), wobei es sich um die erste Übersetzung Fontanes ins Französische überhaupt handelte. Der Übersetzung war ein umfassendes Autorenporträt des einfluss­reichen Literaturkritikers und Kulturvermittlers Téodor de Wyzéwa(1862–1917) vorangestellt, der das französische Lesepublikum erstmals mit Fontane und seinem Werk bekannt machte. Dass die Erzählung, wie Fontane selbst es in seinem Tagebuch notierte, in Frankreich »sehr günstig aufgenommen«(Theo­ dor Fontane : GBA. Tagebücher 1866–1882, 1884–1898. Bd. 2. 1994, S. 257) wurde, liegt nicht zuletzt an der Unvoreingenommenheit, mit der er die Franzosen ungeachtet der vorherrschenden Erbfeindnarrative porträtierte. Es stellt sich jedoch heraus, dass Fontanes früher Erfolg in Frankreich nicht von Dauer war und vielmehr den Auftakt einer bewegten und überwiegend unglücklichen Rezeptionsgeschichte bildete. Vergleichsweise wenig rezipiert, ist Fontane im Nachbarland außerhalb der Germanistenkreise heute weitgehend unbekannt. Ausgehend von dieser Feststellung setzte sich der Vortrag zum Ziel, anhand der ersten französischen Übersetzung Fontanes die historischen, kulturellen und nicht zuletzt auch sprachlichen Faktoren bzw. Differenzen zu beleuchten, die diese Entwicklung beeinflussten. Der Fokus lag dabei weniger auf inhalt­lich-semantischen Bedeutungsübertragungen als auf dem kritischen Diskurs, der die Übersetzung zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung begleitete. Inwiefern die in Kriegsgefangen unterwanderten Nationalstereotypen in den kritischen Rezensionsdiskursen erneut produktiv gemacht wurden und zum Teil ästheti­sche Wertkriterien überlagerten, wurde am Beispiel von Auszügen aus zeitge­nössischen Presserezensionen erörtert. Anschließend widmete sich der Vortrag der zentralen Figur der Fontane-Rezeption im Frankreich des 19. Jahrhunderts, Téodor de Wyzéwa (1862–1917), der nicht nur das Vorwort zur Kriegsgefangen­Übersetzung verfasste, sondern mit einer Reihe von Aufsätzen und Rezensionen Fontanes mediale Präsenz in Frankreich weiterhin aufrechterhielt. Um der Frage nachzugehen, wie Wyzéwa das Bild des Autors Fontane prägte und welche Deutungsmuster er auf sein Werk vorgab, wurden Ausschnitte aus dem Vorwort von 1892 sowie von anderen Aufsätzen herangezogen. Dabei konnte festgestellt werden, dass die diskursiven Konstanten, die Fontanes Bild in Frankreich bis in das späte 20. Jahrhundert prägten, bereits in Wyzéwas Darstellungen angelegt waren. Diese zeugten sowohl von einer profunden Kenntnis des Fontaneschen Werks als auch von einem ambivalenten Verhältnis zu Deutschland und zur deutschen Kultur. Charlotte Anke, Paris / Bonn