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(a a. O. S. 121). Aus dieser in der größten Kürze vorgeführten Entwicklungsgeschichte der Orgel muß jeder Unbefangene erkennen, daß die Orgel, die von der Kirche „das Instrument der Instrumente" genannt wird, ihrer Natur nach und von Hause aus im Dienste der christlichen Kirche stand und noch steht und daß sie einen integrirenden Theil des christlichen Kultus ausmacht. Auf kirchlichem Boden ist das Orgelspiel erwachsen und in demselben Boden wurzelt es bis auf den heutigen Tag. Nirgends, weder in der Moschee noch in der Synagoge ist, wie in der Kirche, die Vorbedingung des Orgelspiels in den von der Gesammtgemeinde gesungenen Liedern gegeben. Im heiligen Tempel zu Jerusalem gab es einen Priester- und einen Levitendienst, aber keinen Gesang der Israelsgemeinde und keine Musik, die einen solchen Gesang begleitet hätte.
In der Tendenz der christlichen Lehre und ihres Kultus liegt eben die Nivellirung der in der Natur des irdischen Menschen wurzelnden Eigenthümlichkeiten im Denken und Empfinden, angesichts des verkündeten gleichmachenden Himmelreiches. Das Judenthum hingegen will individualisiren, es will nicht jene Entäußerung der Einzelart, sondern die Selbstvertiefung des Einzelnen in sein eigenes Empfinden und seine Selbstbearbeitung im gefüllten Gotteshause sowohl, wie im stillen Kämmerlein. Der jüdische Kultus kennt keinen Gemeindegesang während des Gebetes, und auch das Christenthum kannte diesen während des ersten Jahrtausends seines Bestehens nicht. Erst um die Zeit der Wallfahrts- und Marienlieder übertrug sich diese GesangeSart, an der Greise und Kinder, Jünglinge und Jungfrauen, Männer und