90 Arbeitsdirektor
von Parteien auf. Sie stritten, wie parallel dazu auch mehrere Parteitage der SPD und der von ihr abgespaltenen USPD, darüber, ob es in Deutschland ein Räte- oder ein parlamentarisches System oder eine Mischung beider sein sollte.
Schon der„Erste Allgemeine Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands“ befindet im Dezember 1918 in Berlin mit 400 gegen 50 Stimmen, daß eine verfassungsgebende Nationalversammlung zu wählen ist, und lehnt mit 344 gegen 98 Stimmen die Übertragung der höchsten gesetzgebenden und ausübenden Gewalt an ein Rätesystem ab. Der Zweite Rätekongreß— März bis Juni 1919 verständigt sich schließlich darauf, das Rätewesen solle das Parlament„durchdringen“, z.B. durch eine Zweite, von Räten bestimmte Kammer. Zwei SPDKongresse im März und im Juni 1919 konkretisieren das Durchdringungsmodell mit einer„vom rätischen Gedanken getragenen Selbstverwaltung und Selbstbestimmung im Recht der Wirtschaft“ in Betrieben, Unternehmen, Wirtschaftsgebieten und im Reich, die die Gesetzgebungsvollmacht des Parlaments ergänzen sollen.
So kamen wir auf die Räte. Die erste deutsche Regierung zum Kriegsende war ein Rat der Volksbeauftragten aus drei SPD- und drei USPD-Vertretern, unter ihnen Friedrich Ebert. Karl Liebknecht hatte am 9. November 1918 die Räterepublik ausgerufen. Im Zuge einer selbstverwalteten Arbeits- und Wirtschaftswelt entstanden nach dem Betriebsrätegesetz vom 4. 2. 1920 Betriebsräte, nach
einer Verordnung vom 4. 5. 1920 sogar ein Reichswirtschaftsrat, der ohne praktische Bedeutung blieb. Die von der Weimarer Verfassung noch vorgesehenen Bezirks- und Reichsarbeiterräte sowie Bezirkswirtschaftsräte blieben Idee. Nach dem Betriebsverfassungsgesetz i. V. mit einem Gesetz vom 15. 2. 1922 waren in betehende Aufsichtsräte 1—2 Betriebsratsmitglieder zu entsenden.
Alle diese Ansätze wurden durch den Nationalsozialismus wieder zunichte gemacht. Das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom Mai 1934 überträgt das Führerprinzip auf die Betriebe: Betriebsführer und-gefolgschaft werden in der Deutschen Arbeitsfront zwangsvereint, diese vereinnahmt die Gewerkschaftsvermögen und die Konsumgenossenschaften. Betriebsräte werden durch Vertrauensräte ersetzt, die zunächst noch gewählt, später vom Betriebsführer eingesetzt werden. Wirtschaftsverbände und Kammern werden der Staatsaufsicht unterstellt; Tarifverträge werden durch Tarifordnungen ersetzt. Es gibt keine Mitbestimmung und keine Demokratie mehr.
2 Zweiter Anlauf
Eine zweite Chance bekam die deutsche Demokratie wieder nach einem verlorenen Kriege. Die Kontrollratsgesetze der Alliierten hoben so rasch wie möglich typische nationalsozialistische Gesetze und Verordnungen auf und ersetzten sie durch demokratische und liberale Regelungen, meist sehr angelsächsischen Ge
