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stattgefunden, und die die scherzhafte Grundanlage vorn gemütvollen Humor bis zur satirischen Groteske gesteigert hat. Die Berliner, die 17 90 aus Übermut Anschlagszettel abrissen, waren sich dieser Ungezogenheit ebensowenig bewußt, wie der Berliner Satiriker 1835 der Wirkung seines Humors, als er in einem Augenblick der gefährlichsten politischen Spannung die Ulenschenmassen erschütterte durch das Plakat „Wegen plötzlichen Unwohlseins des Herrn Fritze Schulze, Schusterjungen, kann heute die große Berliner Revolution nicht stattfinden."
Der Berliner Witz, so volkslaut er sich auch bisweilen gebärdet, ist im Grunde nicht bösartig. Der Zynismus hat in ihm keinen Raum gesunden, der ist erst als Wildpflanze aus den sozialen Abfällen einer unklaren Weltverbesserung herausgewachsen; er hat in Berlin eine Stätte, aber er ist nicht berlinisch. Wie eine peitsche läßt der Berliner seinen Witz heruntersausen, aber er schlägt nicht; er knallt nur. Wan versteht den Berliner am besten in seinen selbstgeschaffenen Typen. Me jede werdende Großstadt hat auch Berlin seine ständigen Figuren, deren Wurzeln in dem Volkstum stecken. In seiner gutmütigen, vielleicht auch ein wenig bissigen Ironie hat sie der Berliner selbst als „Schusterjungen" lind „Eckensteher" gekennzeichnet, obwohl sie bekannterweise erst aus der Posse ins Volk gedrungen sind. Aber als Extrakt des Volksgeistes sind beide respektablen Persönlichkeiten, die die Eigenart der Großstadtbevölkerung in Pfiffigkeit und Vorwitz, ehrlicher Gutmütigkeit und frecher Schnoddrigkeit zum Ausdruck bringen. Nur der „Droschkenkutscher" hat ihnen durch seine langsame Bedächtigkeit eine neue Farbe beigemischt, während der „Budiker" eben erst die Anfänge einer charakteristischen Volksfigur zeigt.
Auf einer höheren geistigen Warte, aber doch nicht minder charakteristisch für das Berlinertum, steht der „gelehrte Buchhändler" Friedrich Nikolai (f733—1,8f h. Er ist so recht der Typus des klugen, iin Bann einer eigentlich recht kleinen Umwelt stehenden Berliners. Gelehrt, witzig, scharfen Blickes die Schwächen des Gegners erspähend, geht ihm schließlich doch das ruhige Urteil über seine Gegner und ihr Tun ab. Ehrlich in allem, auch gegen sich selbst, erhält sein Urteil schließlich eine Einseitigkeit, die er selbst nicht merkt, die er aber mit pointierter Eigensinnigkeit als das allein Richtige nicht nur für sich, sondern auch für die anderen erzwingen will. Und wie der alte Nikolai einst immer mehr Gegner fand, so ist der Typus, der auch heute noch nicht ausgestorben ist, nicht allzu beliebt in der Welt. Ulan darf nicht vergessen, daß die Gutmütigkeit des Trägers, verbunden mit einer Portion Wichtigtuerei, beigetragen hat, den Ruf des Berliner Witzes in die weiteste Welt hinauszutragen. Ulan verkennt dabei die solide Grundlage, die auf das Nächstgelegene gerichtet ist und mit der Nüchternheit des Urteils doch auch eine weitgebende Schonungslosigkeit gegen sich selbst verbindet. Der Spottvers:
„Berliner Kind,
Sxandauer Wind,
Lharlottenburger Pferd Sind alle nichts wert",
der übrigens nur die mechanische Umbildung eines ältere» süddeutschen Verses ist/) hat
Schon 1666 heißt es hier: „Speyer Wind,
Heidelberger Kind,
Hessen Blut
Tut selten gut" (Bär V, S. zH.